Qualitätssicherung

Entwicklungsbegleitende und praxisintegrative Qualitäts-Sicherung (EPQ)

Ein handlungsorientiertes, internes Evaluationsmodell für den integrativen Arbeitszusammenhang Niedrigschwelligkeit/Drogentherapeutische  Ambulanz/Drogenkonsumraum

Konzeptuelle Grundlagen und Umsetzungsstrategien

©INDRO e.V., Dezember 2003

Einführung

Dieses qualitativ orientierte Qualitätssicherungsverfahren ist entstanden aus jahrelangen Erfahrungen im niedrigschwelligen Drogenarbeitsbereich des INDRO e.V. im Kontext wissenschaftlicher Begleitforschung als Theorie-Praxisverbundsystem der Einrichtung. Es gründet sich auf verschiedene institutsspezifische Forschungsarbeiten, die den Zusammenhang von Praxiserfahrungen und evaluativer Forschung zum Thema haben (Engemann 1991; Schneider/Kemmesies 1991; Schneider 1993; Engemann/Schneider 1994; Schroers 1995; Weber/Schneider 1997; Schneider 1998; Biesenbach 2002). Das seit Jahren praktizierte und hier zusammenfassend vorzustellende Qualitätssicherungsmodell bezieht sich auf das integrative Gesamtkonzept Niedrigschwelligkeit/Drogentherapeutische Ambulanz/Drogenkonsumraum des Drogenhilfevereins INDRO e.V., welches in Münster in enger Kooperation mit den unterschiedlichsten Hilfs- und Unterstützungsanbietern sowie den Gesundheits-, Ordnungs- und Sicherheitsbehörden der Stadt Münster entwickelt wurde. Insofern ist es regional bestimmt und nicht übertragbar.

Prämissen

Die moderne Sucht- und Drogenforschung hat eindringlich gezeigt, dass das, was wir als „Drogenabhängigkeit“ bezeichnen, kein statischer Zustand ist, der, einmal erreicht, nur über langzeittherapeutische oder stufenspezifische Betreuungsaktivitäten aufhebbar wäre. Drogenabhängigkeit ist nicht durch vorab festlegbare Kategorien definierbar. Es gibt weder „die“ Verlaufsform einer Drogenabhängigkeit, „den“ Drogenabhängigen oder gar „die“ Suchtpersönlichkeit, noch gibt es „die“ Ursachen für deren Entstehung. Kein Lebenslauf führt unweigerlich zur Abhängigkeit, selbst wenn er ungünstige personale, soziale oder materielle Prognosedaten anhäuft. Die Forschungsergebnisse widersprechen ferner

  • einer Opfertheorie, die kein aktives Subjekt kennt, das sich mit den szenetypischen Widrigkeiten situationsspezifisch auseinandersetzt;
  • einer mechanistischen Betrachtungsweise der Drogengebrauchsentwicklung, die eine stereotype Abfolge von physischen und psychischen Zuständen unterstellt;
  • einer rein problemorientierten Beschreibung und Erklärung, die die Variabilität von Einstiegs- und möglichen Ausstiegsverläufen, deren Motive sowie die Etablierung auch kontrollierter Gebrauchsmuster negiert sowie
  • einer individuumzentrierten und rein drogenspezifischen Blickrichtung, welche umfeldgestützte Einflussgrößen vom Einstieg über zwanghafte oder kontrollierte Gebrauchsmuster bis hin zum möglichen Ausstieg außer acht lässt.

Drogale Entwicklungsverläufe passen nicht zu einer simplifizierenden Kausalkette: Persönlichkeitsdefizit, Abhängigkeit, Behandlung, Abstinenz. Ein lineares Verlaufsmodell von Drogenabhängigkeit taugt nicht mehr zu ihrer Erklärung (vgl.: Schmidt 1996; Weber/Schneider 1997; Kemmesies 2002; Cramer/Schippers 2002; Schneider 2002). Sie kann also nicht mehr als eine rein pharmakologisch und psychisch bedingte, generell behandlungsbedürftige Krankheit angesehen werden. Ähnliche Ergebnisse liegen auch aus der Substitutionsforschung vor (siehe: Gerlach 2001; 2004a). Substitutionsbehandlungen wie auch Ausstiegverläufe erweisen sich als „gestreckte“ und zeitintensive Übergangsprozesse (Transitionen), die Veränderungen von relativ fixierten Szenezusammenhängen einleiten und nach und nach zu einer gelingenden Lebenspraxis im Sinne psychosozialer Stabilisierung mit und ohne Drogengebrauch führen. Wie auch immer geartete Ausstiegsszenarien sind höchst heterogen und variabel und verbieten demzufolge unzulässige Verallgemeinerungen und vorab definierte Stufen- oder Phasenmodelle.

Wenn Ausstiegsverläufe „retroaktive, übergangsbezogene, zeitintensive und umweltgestützte Selbstsozialisierungsprozesse“ (Schneider 2000a) sind, dann muss sich Drogenhilfe darauf einstellen. Denn: Drogengebrauchsverläufe sowie Ausstiegsszenarien sind nicht kausalanalytisch bestimmbar, es erfolgt kein sich quasi automatisch vollziehender Prozess der Abwendung vom dysfunktional erlebten Drogengebrauch. Daraus folgt: Wie auch immer geartete Ausstiegsprozesse sind nicht planbar und durch prognostische Ablaufmodelle strukturierbar; zu vielfältig, mehrdeutig und multiperspektivisch erweisen sich Drogengebrauchsentwicklungen und Ausstiegskontexte.

Unser entwickeltes Qualitätssicherungsmodell verdeutlicht demnach ein „realistisches“ Bild, eine Vorstellung von der Vielfältigkeit, Komplexität und auch „Unvordenkbarkeit“ subjektiver Entwicklungsmöglichkeiten und von Überwindungsprozessen aus kompulsiven (zwanghaft und exzessiven) Drogengebrauchsmustern. Drogengebrauchsentwicklungen haben nicht den Charakter naturlogischer Abläufe entweder in Richtung psychosozialer Verelendung oder Abstinenz. Die praktischen Konsequenzen für die Drogenhilfe erscheinen evident: Es kann nicht darum gehen, Modelle der freiwilligen Selbstbindung qua vermittelter Einsicht zu entwickeln. Diese sind – so zeigen die Erfahrungen der letzten 40 Jahre – zum Scheitern verurteilt. „Der Drogenabhängige bedient sich, bezogen auf seine Biographie, bestimmter bereitgestellter Dienstleistungen. Er wird eben nicht gegriffen und dann therapiert. Dieses Konzept ist gescheitert“ (Degkwitz 1996, S.72). Das heißt aber auch: Der Gebrauch und Missbrauch von illegalisierten Drogen wird von Subjekten praktiziert. Der subjektive Faktor jedoch ist nicht quantifizier- und berechenbar sowie durch stufenbezogene Ablaufmuster (hierarchisch gestaffelte Zielvorgaben bzw. Stadien der Veränderung bis zur Abstinenz) standardisierbar. Drogenhilfe kann insofern auch nichts produzieren (Therapiemotivation, Abstinenz etc.), sondern lediglich Unterstützung zur Selbstproduktion anbieten: Die Nutzer unserer Angebote produzieren ihr Leben selbst. Drogenhilfe hat ebenso wenig wie die gesamte Sozialarbeit Zugriff auf subjektive Gründe menschlichen Verhaltens. Subjektivität, das Denken, Fühlen und Meinen ist kein „verfügbares, beliebig veränderbares, umprogrammierbares Material“ (Gloel 2002, S. 45), welches wie auch immer manipuliert werden kann. Dies ist professionelles Wunschdenken. Die Vorstellung, man müsste nur das entsprechende pädagogische „Werkzeug“ anwenden, um erwünschtes Verhalten herzustellen, ignoriert eklatant das eigentliche Wesen menschlichen Verhaltens.

Der Begriff „Produkt“ nun ist unter der Maxime einer Ökonomisierung und Sozialtechnologisierung der Sozialen Arbeit geradezu genial. „Gewinnt doch – gerade auch der mühevolle – Arbeitsprozess dadurch seinen Sinn und sichern doch die an ihm Beteiligten darin ihre Identität, dass sie etwas produzieren“ (Volz, F.-R., 2000, S.174), also nicht nutzlos sind. Es stellt sich „Produzentenstolz“ ein. Aus „Klienten“ werden dem Ökonomie-Primat folgend „Kunden“. „Die Vorstellung von der Machbarkeit, Herstellbarkeit von Produkten erweist sich da, wo es um Menschen, ihre Einstellungen und Verhaltensweisen geht, als Wahn“ (Gloel, R. 2002, S. 45).

Natürlich können sich Menschen (ver)ändern. Aber das ist ihr Werk, ihre Tatkraft und nicht das von Drogenhilfeexperten, die bestimmte „pädagogische“ Methoden als „Werkzeuge“ einsetzen. Menschen sind immer Subjekte ihrer eigenen Entwicklung, die natürlich prozessbezogen gestützt werden kann, aber nicht hergestellt, produziert. Es geht darum Angebote (Maßnahmen) vorzuhalten, die günstige Bedingungen für die selbsttätige Gestaltung der je individuellen Lebenspraxis bereitstellen. Veränderungen gleich welcher Art entfalten sich immer nur in einem lebensgeschichtlichen Prozess. Insofern sprechen wir hier auch nicht von „Kunden“, sondern von Angebotsnutzern.

Gebraucher illegalisierter Substanzen können nicht wirklich „Kunden“ sein, da sie weder kaufen und bezahlen, noch genussorientiert und straf-, angst- und bevormundungsfrei ihre Konsumbedürfnisse, nämlich Drogen zu konsumieren, befriedigen können. Und das ist die Realität, der sich Drogenhilfe stellen muss.

Qualitätssicherung kann also nicht auf quantifizierende, naturwissenschaftlich orientierte Ablaufmuster beispielsweise von Drogengebrauchsentwicklungen oder von Hilfeverläufen (Einsatz von Veränderungsstrategien im gestuften Planverfahren) abgestimmt werden. Intervenierende Variablen sind so heterogen und variabel, dass sie sich nicht „erfolgsbezogen“ kontrollieren lassen. Intervenierende Variablen sind das konkrete Leben, der biographische und drogale Lebensentwurf der Nutzer von Drogenhilfsangeboten und entsprechender Umweltkontexte, wie z.B. aktuelle Lebenssituationen, Szenebezüge, Drogenhilfestrukturen, in denen wiederum der „subjektive Faktor“ dominiert. Insofern: Drogenhilfe kann sich nur als ein jeweils diskursiv bestimmter Aushandlungsprozess, als ein Interaktionsprozess begreifen, in dessen Gestaltung die Angebotsnutzer als selbstbestimmende, selbsttätig kooperierende Subjekte einbezogen sind. Drogenkonsumierende Menschen sind eben keine „Objekte“ fürsorglicher Bemühungen, d.h. „aus ihnen etwas anderes zu machen, als sie sind oder sein wollen“ (Gloel 2002, S. 48).

Qualitätssichernde Evaluation

Im Rahmen der Qualitätssicherung in der Drogenhilfe geht es um den Versuch, Qualität nicht nur zu evaluieren (bewerten) und zu kontrollieren (wobei Subjektivität sich nicht kontrollieren lässt), sondern in allen Phasen der drogenhilfepraktischen Angebote – von der Entwicklung bis zur Durchführung – gezielt Maßnahmen zur Sicherung und Verbesserung der Qualität der Arbeit einzusetzen. Es geht um die Erhöhung der Transparenz von Angeboten für die Nutzer, für die Mitarbeiter, für die Öffentlichkeit, für den Geldgeber. Es geht weiter darum, die Notwendigkeit der Angebote zu verdeutlichen und perspektivisch weiterzuentwickeln und die Wirtschaftlichkeit der erbrachten Leistung zu gewährleisten. „Insofern entwickelt sich Qualität aus dem Zusammenwirken verschiedener materieller, struktureller und personeller Gegebenheiten“ (akzept e.V. 1999, S. 13). Um Qualität zu sichern, ist es im sozialen Bereich erforderlich, Kriterien bzw. Indikatoren für die Qualität eines bestimmten Angebotes zu definieren und deren Veränderlichkeit als prozessbezogene, auch widersprüchliche Verlaufsdarstellung im Praxisalltag zu bestimmen (Set und Setting).

Das bedeutet für das von uns vorgehaltene, integrative Angebot Niedrigschwelligkeit/ DTA/Drogenkonsumraum die Entwicklung eines Leitbildes und entsprechender qualitativer Kriterien, die sich aufgrund der durch Ambiguitäten auszeichnenden, teils arbiträren Entwicklungsdynamik im Praxisalltag nicht quantifizieren und standardisieren lassen, sondern als flexibel einzusetzende Orientierungsmuster anzusehen sind.

Bevor wir zu diesen flexiblen Orientierungskriterien im Sinne akzeptanzorientierter Drogenarbeit kommen, werden wir im folgenden den Begriff der qualitativ bezogenen Qualitätssicherung forschungsimmanent ableiten und die Notwendigkeit für unseren Arbeitsbereich begründen.

Qualitative Qualitätssicherung

Bisherige quantitativ-technologisch orientierte Qualitätssicherungsverfahren zielen zuvörderst auf summative Produktevaluation der Drogenhilfe, d.h. es geht darum, neue Konzepte zur Regulierung von Drogenhilfe „zwischen öffentlichen Aufgaben, Markt und Gemeinschaft tatsächlich zu entwickeln“ (Degkwitz 1996 S. 7). Die Dienstleistung Drogenhilfe wird mit Hilfe datengestützter Produktevaluation daraufhin abgeklopft, ob ihre Wirtschaftlichkeit, ihr Anbietervolumen, ihre Marktpräsens, ihre „Kundenzufriedenheit“ und ihre Zielinhalte auch gesichert und „erfolgreich“ umgesetzt werden. Übergeordnetes Ziel ist die Optimierung und Effektivierung drogenhelferischen Handelns, wobei selten Klarheit über die Zielbestimmungen festzustellen ist. Was ist „der Erfolg“? Abstinenz? Psychosoziale Stabilisierung mit und ohne Drogengebrauch? Risikobewusster Gebrauch? Einhaltung von Safer-Use-Regeln? Kontrollierter Gebrauch? Veränderungsmotivation? Überlebenshilfe? Und: Wer bestimmt „den Erfolg“? Die eingesetzte Methode? Der Drogenhelfer? Die Gesellschaft? Die Moral? Der Geldgeber? Die „Klienten“? Die „Kunden“? Die Nutzer?

Methodisch wird hier meist ein Instrumentarium angewandt, das die Operationalisierung der Ziele, Qualitäts- und Bewährungskontrolle umfasst. Diese eher naturwissenschaftlich-technische Position orientiert sich an einem messbaren Regelkreislaufmodell von Planung, Realisation (Umsetzung) und Kontrolle. Dieses klassisch-technische Vorgehen – angelehnt an die allgemeine Evaluationsforschung – ist auf die Erfassung anscheinend „objektiver“ Zweck-Mittel-Relationen im Sinne von Wenn-Dann-Beziehungen ausgerichtet. Wie wir bereits im Bereich der „Prämissen“ aufgezeigt haben, kann diese Form einer quantitativen Qualitätssicherung als Praxisevaluation den nicht standardisierbaren biographischen und drogalen Entwicklungsverläufen und der Dynamik menschlichen Verhaltens und auch von Drogenhilfe nicht gerecht werden. Diese Orientierung an quasi technische Abläufe greift unweigerlich zu kurz, da sie ferner eine Grundbedingung psychosozialer Arbeit, nämlich die der Koproduktion negiert, d.h. die aktive Teilnahme der Nutzer von Hilfseinrichtungen weder zugesteht noch einfordert. Der Prozesscharakter und die Heterogenität von Drogengebrauchsentwicklungen und von Drogenhilfe im ganzheitlichen Sinn können damit ebenso wenig erfasst werden wie dessen Komplexität und Kontingenz. Interaktive, häufig widersprüchliche Beziehungsstrukturen werden darüber hinaus eklatant vernachlässigt. Die allgemein feststellbare Tendenz einer Orientierung an nachweisbarer Qualität im Sinne von zertifizierten Gütesiegeln „birgt das Risiko in sich, psychosoziale Arbeit auf die Aspekte zu reduzieren, die anhand von Qualitätshandbüchern und normierten Vorgaben beschreibbar sind“ (Seckinger et al 2000, S. 11). Am Arbeitsalltag, an den Grundbedingungen der Entwicklungen möglicher zwanghafter Drogengebrauchsmuster und von Drogenhilfe im Sinne der oben genannten Prämissen ändert sich jedenfalls nichts, kann sich nichts ändern. Bald ist jede Einrichtung, jeder Mitarbeiter (teuer) zertifiziert mit den je unterschiedlichsten Gütesiegeln (und es gibt viele) versehen, ist eine neue Sprachregelung eingeführt (Das Arbeitsamt heißt jetzt ja auch Job-Center), aber alles bleibt beim „Alten“.

Der zur Zeit dominante, funktionale Qualitätsdiskurs durch die Produktion neuer Sprachregelungen lässt sich nach Keupp folgendermaßen schlaglichtartig wiedergeben:

  • Wörter mit Maximalisierungstendenz: flächendeckend, umfassend, total, effektiv, hocheffizient, exakt oder als Hauptwörter: z.B.: Maximierung, Ablaufoptimierung, Effizienzsteigerung;
  • Wörter mit Tendenz zur Linearität: kontinuierlicher Verbesserungsprozess, Ablaufschritte, Schnittstellenregulierung, passgenauer Betreuungsplan, Outcome, Weiterentwicklungsoption, Sachzielorientierung, Leistungserstellungsprozess etc.;
  • Marktorientierte Wörter: Kaufkraft, Kunden, Konkurrenzfähigkeit, Wertschöpfungsprozess, Konsumentensouveränität (?), Humankapital, Pflegemarkt, Synergieeffekte etc.;
  • Wörter mit Atomisierungstendenz: Modul, Baustein, Leistungspaket etc. (nach: Keupp 2000, S. 18f).

Natürlich ist es wichtig, „was hinten rauskommt“ (z.B. 100 Beratungskontakte (?) am Tag oder 10 Vermittlungsversuche (?) in Entzugseinrichtungen), aber über die Qualität oder gar den „Erfolg“ dieser Tätigkeiten sagt dies nichts aus.

Es macht jedoch Sinn, die Struktur des jeweiligen Arbeitsfeldes (Mitarbeiter-Organisationsgefüge, Kompetenzen, Tätigkeitsfelder) klar zu bestimmen, um u.a. auch zu erheben, welche institutionellen Rahmenbedingungen und professionelle Sichtweisen (beispielsweise: Welches Bild von Drogengebrauch und Drogenabhängigkeit gilt als Leitorientierung?) das diagnostische und beraterische Handeln beeinflussen. Ferner ist es nicht unerheblich zu wissen, wie das „Hidden Curriculum“ von Drogenhilfsorganisationen (offizielle/inoffizielle Ziele, Kommunikationswege, Entscheidungsstrukturen, Rollen- und Aufgabenwahrnehmungen etc.) aussieht. Es geht also nicht um fiskalisch begründete Effektivitätsmessung, sondern um entwicklungsbegleitende, praxisintegrative Evaluation, wobei der gerade in der Drogenhilfe wichtige subjektive und situative Kontext sozialer Prozesse, d.h. spezifische Erfahrungsdimensionen, sowohl in ihrer subjektiven Konkretheit (und Widersprüchlichkeit) als auch in ihren jeweils sozialökologischen Verflechtungen einbezogen werden muss. Beispielsweise lassen sich Beziehungen zwischen „Experten“ und „Klienten“, oder sagen wir besser zwischen Menschen nicht geradlinig-strategisch und stufen- bzw. phasenspezifisch durchrationalisieren (im Sinne einer „instrumentellen Vernunft“, Max Horkheimer).

Integrative Behavior-Setting-Analyse

Drogenhilfeeinrichtungen und insbesondere niedrigschwellige Angebote können als „Behavior Setting“ begriffen werden. Ein Behavior Setting ist durch ein bestimmtes räumlich-materielles Milieu und durch bestimmte ausgrenzbare Zeiträume (Öffnungszeiten) charakterisiert. Sie sind weiterhin durch spezifische, charakteristische und zum Teil gleich bleibende molare Verhaltensmuster bestimmt, die von Teilnehmern (Mitarbeitern/Nutzern) gleichsam programmbezogen erfüllt werden. Ein Behavior-Setting-Programm kann als Spielregelwerk verstanden werden. Dies ist vergleichbar mit dem Regelwerk beispielsweise einer Sportart. „Das Programm sorgt für einen geordneten Ablauf des Geschehens und dient im wesentlichen der Aufrechterhaltung des Behavior Settings. Programme können demnach als eine Art Handlungsvorschriften aufgefasst werden, nach denen sich die Teilnehmer an einem bestimmten Behavior Setting zu verhalten haben und nach denen folglich die Vorgänge im Behavior Setting ablaufen und reguliert werden“ (Fuhrer 1990, S. 41). Das bedeutet für Angebote von niedrigschwelligen Drogenhilfseinrichtungen wie Kontaktläden, Konsumräume, Drogentherapeutische Ambulanzen die einzelnen Merkmalsbereiche ihrer Angebote wie Setting-Programm (Strukturen, Leistungsmerkmale, Angebote, Personal, Finanzierung), soziale Konventionen/Normen (Regeln/Normen/Leitbilder), Objekte, Topographik, temporale Zugänglichkeit und soziale Verantwortlichkeit präzise strukturell zu beschreiben, da sie handlungswirksam sind und somit für Mitarbeiter und Nutzer transparent werden (müssen).

Die Verhaltensweisen von teilnehmenden Personen im niedrigschwelligen Drogenarbeitsbereich sind also strukturell aufeinander bezogen. Sie können als Milieu-Verhaltens-Einheiten beschrieben werden. Neben einer Differenzierung niedrigschwelliger Angebote (Kontaktladen, DTA, Konsumraum) in verschiedene Mensch-Umwelt-Einheiten als Strukturgefüge ist es möglich, eine Spezifizierung der dort ablaufenden sozialen Regelwerke (Programme) „dicht“ zu beschreiben und diese im Arbeitsalltag, in der Praxis immer wieder zu reflektieren, direkt zu kommunizieren und zu dokumentieren, damit Unzulänglichkeiten und Arbeitshemmnisse unverzüglich praxisbezogen aufgehoben werden können. Dies erweitert die eigenen Gestaltungsmöglichkeiten im Alltagsprozess, verstärkt u.a. auch das professionelle Selbstverständnis, was zu einer besseren Kontrollierbarkeit von Praxisprozessen und somit auch zu eindeutigen Verbindlichkeiten in der eigentlichen Arbeit führt.

Zu den Kriterien gehören:

  • Zeit- und Personalstruktur;
  • Raumstruktur;
  • Kontroll- und Regelstruktur;
  • Angebotspalette und Aufgabenrealisierung;
  • Besucherfrequenzen, Besucherwellen;
  • Unterstützungs- und Hilfsmaßnahmen;
  • Vernetzungsstruktur;
  • Zielvorgaben des Leitbildes akzeptanzorientierter Drogenarbeit;
  • Anforderungsprofil und Belastungsniveau der Mitarbeiter;
  • Verantwortlichkeitszuordnungen.

Weiterhin kann die qualitative Forschungsmethode der miterlebenden Beobachtung als lebensweltlicher Bezug Handlungsmaxime im Praxisalltag werden (vgl. Weber/Schneider 1997). Nur im unmittelbaren Kontakt zu den Nutzern wird es möglich, Fremdverstehen zu praktizieren, d.h. nachvollziehend zu verstehen, wie die Nutzer ihre Umwelt wahrnehmen und klassifizieren, wie sie handeln und wie sie diese Handlungen deuten. Diese Methode bedarf der Kommunikation und der Offenheit.

Gerade im Bereich niedrigschwelliger Drogenhilfe mit ihren Angeboten Kontaktläden, Spritzentausch, DTA, Drogenkonsumraum sind die Handlungsprinzipien der qualitativen Forschungsmethode einer miterlebenden Beobachtung als lebensweltliche Ethnographie bedeutsam: Keine Übernahme der Eigenverantwortung für Handeln, ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Nähe und Distanz bei eindeutiger Grenzziehung, Verzicht auf moralische Postulate und Appelle, Akzeptanz des jeweiligen Lebensstils.

Eine Berücksichtigung dieser beschriebenen methodischen Aspekte (Behavior-Setting-Analyse, miterlebende Beobachtung) bedeutet dann keine „impact evaluation“ als reine Effektivitätsanalysen, sondern die differenzierte Betrachtung subjektiver Wahrnehmung und Nutzung entsprechender Drogenhilfsangebote im Bereich der Niedrigschwelligkeit aus mehreren Perspektiven. So wird es möglich, insbesondere aus prospektiver Sicht, Möglichkeitsräume für subjektbezogene und institutionelle Wandlungsprozesse zu eröffnen. Ferner wird es möglich, moderierende Effekte zwischen dem individuellen, alltagsbezogenen Verarbeitungsstil der Nutzer und Mitarbeiter und dem möglichen Unterstützungspotential niedrigschwelliger Angebote entwicklungsbegleitend und sozialraumbezogen mehr-perspektivisch zu erfassen. Umgesetzt werden kann dies durch:

  • Leitbilddiskussionen als Theorie-Praxis-Zusammenhang;
  • Durchführung eigenverantwortlicher Qualitätszirkel der Mitarbeiter einzelner Angebote wie z.B. Konsumraum, Kontaktladen;
  • Flexibilisierung der Arbeitsvollzüge und Rotationsprinzip (keine hierarchische Abteilungsleitermentalität und Wartezimmeratmosphäre);
  • Behavior-Setting-Analysen als strukturierte Reflexion im alltäglichen Vollzug und damit zügige Veränderung von Arbeitshemmnissen;
  • Nutzerbefragungen und gelegentliche, extern durchzuführende „fokussierte Interviews“ mit Nutzern und Mitarbeitern, deren Inhalte sich an einem thematischen Schwerpunkt wie z.B. Angebotszufriedenheit, Arbeitszufriedenheit ausrichten.

Unsere Erfahrungen mit der Anwendung dieser Methodentriangulation als „qualitative Qualitätssicherung“ im Sinne qualitativer Evaluationsforschung (vgl. Lüders/Haubrich 2003) haben im Verlauf der letzten zwölf Jahre eine große Arbeitszufriedenheit und Verantwortungsübernahme der Mitarbeiter (keine Fluktuation) sowie damit eine arbeitsspezifisch notwendige personelle Kontinuität bewirkt. Somit konnten schnelle Veränderungen im Praxisalltag von wahrgenommenen Fehlern und Arbeitshemmnissen sowie Nutzerzufriedenheit durch starke Inanspruchnahme aller niedrigschwelligen Angebote ermöglicht werden (siehe die dazu durchgeführten Studien: Engemann 1991; Engemann/Schneider 1994; Schroers 1995; Weber/Schneider 1997; Wildhagen 2002; Biesenbach 2002; Schneider 2004 sowie die externe Evaluation des Drogenkonsumraums: Poschadel et al 2003).

Die qualitative Qualitätssicherung von Voraussetzungen, Bedingungen, Arbeitsverläufen und Auswirkungen niedrigschwelliger Drogenhilfsangebote aus der Subjektperspektive sowohl der Nutzer als auch der Mitarbeiter trägt dazu bei, Handlungs- und Bedingungswissen bereitzustellen, welches genutzt werden kann, im niedrigschwelligen Arbeitsbereich Handlungskonzepte zu modifizieren und bedarfs- und bedürfnisgerechte Angebote zu entwickeln und zügig umzusetzen. Folgende Qualitätselemente sind prozessbezogen zu berücksichtigen:

  • Organisatorische, zielbezogene und angebotsorientierte Elemente;
  • Zielgruppenbezogene Elemente und deren Veränderung;
  • Wirtschaftliche Adäquanz und deren Veränderlichkeit (beispielsweise durch Etatkürzungen);
  • Dokumentatorische Elemente;
  • Nutzerorientierte Elemente;
  • Angebotsorientierte Elemente (Bedarfe aus Nutzer- und Mitarbeiterperspektive, Ausloten von Realisierungsmöglichkeiten, gemeinsame Konzeptualisierungen und Projektumsetzungen);
  • Einrichtungsbezogene Fortbildungselemente (Erste-Hilfe Kurse, Reanimationsübungen, Drogennotfallprophylaxe, Safer-Use-Strategien, selbsttätige Erstellung von Flyern und Broschüren, Weiterentwicklung akzeptanzorientierter Drogenarbeit, Schuldnerberatung etc.).

Diese handlungsorientierte Perspektive zielt auf niedrigschwellige Drogenhilfe als ein ganzheitliches, soziales Handlungs- und Kommunikationsfeld im Sinne eines komplexen, dynamischen Verlaufzusammenhanges. Qualitätssicherung wird hier zu einer selbstevaluativen, aktivierenden Sozial- und Praxisforschung. Im Gegensatz zu der hier vorgestellten qualitativen und praxisintegrativen Qualitätssicherung führt eine rein quantitative, marktbezogene, „kundenorientierte“ und messtechnische Qualitätssicherung sehr schnell dazu, dass im realen Kontext organisatorisch, karrieristisch und fiskalisch bedingter Konkurrenz im Drogenhilfesystem auch die Bedarfe und Bedürfnisse der Nutzer mehr oder weniger organisationsfunktional instrumentalisiert werden, und dies trotz (oder gerade wegen) empathisch geforderter Kundenorientierung. Die Entwicklung quantifizierender Standards als immer gleich bleibende und damit komparative Arbeitsstrukturen und Orientierungsmuster ignoriert dabei die Dynamik und auch Widersprüchlichkeit des niedrigschwelligen Arbeitsalltags sowie den alles bestimmenden „subjektiven Faktor“.

Leitbild akzeptanzorientierter Drogenarbeit

Im Rahmen einer niedrigschwelligen, akzeptanzorientierten Drogenarbeit geht es vordringlich darum, die körperlichen, psychischen und sozialen Schädigungen, die sich aus dem Konsum illegalisierter Drogen in der offenen Drogenszene ergeben können, zu verhindern oder zumindest zu lindern und Hilfen für das Überleben und das Bearbeiten von Problemen bereitzustellen. Niedrigschwelligkeit als Zugangsmethode bedeutet dabei, dass so wenig Hemmschwellen wie möglich Drogengebrauchende von der Hilfsangebotsnutzung abschrecken bzw. ausschließen sollen. Folgende Zielhierarchie innerhalb einer bedürfnis- und bedarfsbezogenen Drogenhilfe hat sich mittlerweile durchgesetzt:

  • Überleben sichern;
  • Sicherung eines gesunden Überlebens ohne irreversible Schädigungen;
  • Verhinderung sozialer Desintegration;
  • Gesundheitliche und psychosoziale Stabilisierung;
  • Unterstützung eines selbstverantwortlichen, kontrollierten Drogengebrauchs als Vermeidung dysfunktionaler Gebrauchsmuster;
  • Ermöglichung und Unterstützung längerer Drogenkontrollphasen (mit Substitut oder ohne);
  • Unterstützung individueller Herauslösung aus der Drogenszene und aus individuellen Abhängigkeitsstrukturen.

Nationale und internationale Forschungsergebnisse zu den Auswirkungen niedrigschwelliger, akzeptanzorientierter Drogenarbeit zeigen inzwischen, dass nicht ausschließlich abstinenzbezogene Angebote im Sinne von schadensbegrenzenden, risikominimierenden Unterstützungsmöglichkeiten und Überlebenshilfen in der Lage sind, drogengebrauchende Menschen direkt anzusprechen, Selbsthilfeorganisationsressourcen zu fördern, Safer-Use-Strategien zu stärken und – auf Wunsch und bei Bedarf – ergänzende, verbindliche Hilfen wie Substitutions-, Entzugsplatz- und ambulante sowie stationäre Therapievermittlungen anzubieten. An die Umsetzung akzeptanzorientierter Drogenarbeit als inhaltliche Arbeitsorientierung neben der Zugangsmethode „Niedrigschwelligkeit“ sind mehrere qualitative Orientierungsstandards gebunden:

  • Akzeptanz von drogengebrauchenden Menschen als mündige, zu Selbstverantwortung und Selbstbestimmung fähige Menschen und Akzeptanz des Rechts auf Autonomie mit und ohne Drogengebrauch;
  • Wahrung und Schutz der Menschenwürde;
  • Gelassenheit gegenüber der dynamischen und auch diskontinuierlichen Entwicklungsmöglichkeit auch bei zwanghaft und exzessiv Gebrauchenden;
  • Verzicht auf den helfenden Appell zur sofortigen Verhaltensänderung und auf übermäßige Strukturierung des Kontaktverlaufes;
  • Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts von Drogengebrauchenden bezüglich Intensität, Richtungsverlauf und Verbindlichkeit der Kontakte;
  • Akzeptanz von Drogengebrauchenden als Subjekte ihrer eigenen Entwicklung;
  • Akzeptanz des drogenbezogenen Lebensstils, jedoch keine „Verbrüderungen“ und Überidentifikationen bei eindeutiger, respektbezogener Grenzziehung;
  • Verständnis der positiven und negativ-schädlichen Seite von psychoaktiv wirksamen Substanzen (Drogenambivalenz);
  • Fachliche Herstellung eines ausgeglichenen Verhältnisses zwischen Nähe und Distanz sowie Verzicht auf helferische Verantwortungsübernahme (nach dem Motto: Du musst Dich verändern, sonst bin ich von Dir aber enttäuscht);
  • Fachliches Verständnis der bipolaren Berufsrolle (Kontrolle/Vertrauen);
  • Verzicht auf eine pädagogisch-instruktive Interaktion („Du sollst das wollen“), auf Instrumentalisierung und Vermeidung eines sozialpädagogischen Opportunismus

(vgl.: Schneider 2001a; Schneider/Stöver 2000).

Resubjektivierung und Betroffenenkompetenz können somit als Eckpfeiler einer niedrigschwellig-akzeptanzorientierten Drogenarbeit angesehen werden (Gerlach/Kemmesies 1990; Weber/Schneider 1997; Schneider 2000b; Gerlach 2004b). Resubjektivierung als wesentlicher Bestandteil dieser Arbeit impliziert, die „Problemdefinitionsgewalt“ nutzerorientiert und nicht „expertenbezogen“ auszulegen. Resubjektivierung beinhaltet also die Akzeptanz der Nutzer von Hilfsangeboten als eigenverantwortlich Handelnde und ihr Leben selbst bestimmende und organisierende Menschen, denen bei Bedarf und auf Wunsch sofort und direkt Unterstützungsangebote zur selbsttätigen Nutzung vorgehalten werden, ohne sie zu „Fürsorge-Objekten“ zu machen.

Folgende Arbeitskriterien zeichnen eine niedrigschwellig-akzeptanzorientierte Drogenarbeit aus:

  • Subjektbezogenheit;
  • Bedürfnisorientierung;
  • Lebensweltbezug;
  • Nicht-direktiv und zugangsoffen;
  • Anforderungsarm;
  • Verständigungsorientiert;
  • Nicht abstinenzfordernd;
  • Nicht klientelisierend (keine Unterstellung genereller Behandlungsbedürftigkeit).

Akzeptanzorientierung als zielgruppen- und sozialraumbezogene Arbeit basiert auf Freiwilligkeit und ist nicht bevormundend ausgerichtet. Insofern verstehen wir unseren Arbeitsansatz als Empowerment, d.h. er stiftet jenseits einer neuen pädagogischen Rezeptur von Methoden und Interventionsformen zur selbstbestimmten, eigeninszenierten Lebensgestaltung mit und ohne Drogen an. Es geht um Unterstützung effektiver (gesundheitsschonender) Verhaltensweisen in (riskanten) Drogengebrauchssituationen bei Berücksichtigung der Selbstwirksamkeit als konkretes Erleben bewusster Umweltkontrolle, und sei sie noch so „reduziert“ (Schadensbegrenzung, Überlebenshilfe).

Die Unterstützung zur Selbstwirksamkeit zielt auf die selbsttätige Setzung von Zielen und auf das Vertrauen eigener Fähigkeiten zur Umsetzung der Ziele: Eigenmotiviertes Sich-Aneignen und nicht Angeeignet-Werden! Die Fähigkeit zur Veränderung drogendominanten Lebens, in welche Richtung auch immer (relative Abstinenz, risikobewusster Drogengebrauch, psychosoziale Stabilisierung mit und ohne Drogengebrauch, Substitution), ist darüber hinaus von der subjektiven Beurteilung der eigenen Fähigkeit zur Steuerungskompetenz abhängig (Kontrollüberzeugung). Kontrollüberzeugungen beschreiben dabei die Fähigkeiten eines Individuums, Situationen bzw. deren Folgen zu antizipieren, zu beeinflussen und angemessen zu deuten.

Aus der Motivationsforschung ist hinlänglich bekannt, dass eine Person dann bemüht ist, ein Ziel zu erreichen, wenn dieses Ziel für die jeweilige Person eine bestimmte Wertigkeit besitzt. Beides, die Handlungsergebniserwartung und die subjektive Selbstwirksamkeitswahrnehmung, die gestützt, aber nicht „produziert“ werden können, bestimmen die Handlungs- und Umsetzungsmotivation.

Durch die Stützung bzw. auch Vermittlung von risikobewussten Gebrauchskontrollregeln im Sinne von safer use-, safer work- und safer sex-Strategien kann das konkrete Erleben (Selbstwirksamkeits- und Kontrollerfahrung), dass man auch als Gebraucher illegalisierter Drogen über Fähigkeiten und Fertigkeiten zur aktiven Alltagsorganisation verfügt, ermöglicht werden. Stützung und Vermittlung von Selbstwirksamkeit mit Hilfe von Safer Use-Maßnahmen können so regulative Orientierungen zur Gestaltung des (auch) drogenbezogenen, genussorientierten Lebensstils bewirken. Betrachtet man die gesundheitspolitischen Aussagen beispielsweise der Ottawa-Charta vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Umgangs mit Konsumenten illegalisierter Drogen heute, dann muss festgestellt werden, dass die prohibitiven und ausgrenzenden Rahmenbedingungen, die Priorität repressiv und ordnungspolitisch geprägter Drogenpolitik die Umsetzung der Kernelemente „Selbstbefähigung“ und „Eigenverantwortung“ mehr als nur behindert (ausführlich: Schneider/Stöver 2000).

Das integrative Modell Niedrigschwelligkeit/DTA/Drogenkonsumraum orientiert sich am Grundsatz, dass auch Menschen, die illegalisierte Drogen konsumieren, Anspruch auf direkte, soziale und medizinische Hilfe haben. Damit soll im Rahmen der gesamten niedrigschwelligen Angebotspalette des INDRO e.V. (Kontaktladen, Spritzentausch, Betreutes Wohnen, Psychosoziale Begleitung, Betreuung russlanddeutscher Drogenkonsumenten, Koordinations- und Informationsstellen, szenenahe Frauenarbeit, siehe INDRO e.V. 2003) in direkter Vernetzung mit anderen Hilfsangeboten der Stadt Münster (multidimensionales Netzwerk) der gesundheitlichen und sozialen Verelendung von Drogenabhängigen entgegengewirkt werden. Insofern lässt sich unser Drogenhilfeansatz zusammenfassend durch

  • Niedrigschwelligkeit (Zugangsmethode),
  • Sozialraumbezug (Szenenähe, Organisation und Koordination verfügbarer Hilfenetze durch Case-Management, Lebensweltorientierung) und
  • Akzeptanzorientierung und Empowerment (als moderierende Unterstützung zur Selbstbemächtigung, Selbstorganisation)

charakterisieren.

Der Gesamtzusammenhang akzeptanzorientierter Drogenarbeit lässt sich folgendermaßen graphisch darstellen:

Leistungskriterien und Zielbestimmungen

Unsere Angebotspalette richtet sich an die Zielgruppe der drogengebrauchenden Menschen aus der öffentlich sichtbaren Drogenszene.

Das integrative Modell Niedrigschwelligkeit/DTA/Drogenkonsumraum orientiert sich u.a. an Zielbestimmungen, die sich auch aus den Richtlinien des Landes NRW zur Umsetzung von Drogenkonsumräumen ergeben. Nach der Rechtsverordnung des Landes NRW über den Betrieb von Drogenkonsumräumen vom 26.9.2000 werden beispielsweise folgende Zielbestimmungen als sog. „Betriebszweck“ festgelegt:

„Der Betrieb von Drogenkonsumräumen soll dazu beitragen,

  • die durch Drogenkonsum bedingten Gesundheitsgefahren zu senken, um damit insbesondere das Überleben von Abhängigen zu sichern,
  • die Behandlungsbereitschaft der Abhängigen zu wecken und dadurch den Einstieg in den Ausstieg aus der Sucht einzuleiten,
  • die Inanspruchnahme weiterführender insbesondere suchttherapeutischer Hilfen einschließlich der vertragsärztlichen Versorgung zu fördern und
  • die Belastungen der Öffentlichkeit durch konsumbezogene Verhaltensweisen zu reduzieren.“

Fassen wir die Leistungskriterien und Zielbestimmungen in der Gesamtrahmung unserer Angebote konkret zusammen:

  • Ermöglichung einer hygienisch-kontrollierten Applikation von mitgeführten Drogen (Besitz zum Eigenverbrauch in geringer Menge: § 31a BtMG und § 6 Rechtsverordnung des Landes NRW);
  • Reduzierung des Infektionsrisikos beim intravenösen Drogengebrauch;
  • Sofortige Hilfe bei Überdosierungen und Drogennotfallsituationen;
  • Vermittlungen von Techniken des Safer-Use;
  • Medizinische Hilfe bei Wundinfektionen und Abszessen;
  • Gesundheitspräventive Maßnahmen im Sinne der Reduzierung des Mortalitätsrisikos und der HIV- und Hepatitisinfizierungsmöglichkeit;
  • Direktes Abrufen intermittierender Hilfen (Beratung, Vermittlung, Versorgung) in Aushandlung mit verfügbaren Hilferessourcen (Case-Management);
  • Sicherung des Überlebens von Drogenabhängigen;
  • Einleitung des Einstiegs in den Ausstieg aus der Sucht;
  • Vermittlung bei Nachfrage und auf Wunsch in weiterführende suchttherapeutische Hilfen einschließlich der vertragsärztlichen Versorgung;
  • Bereitstellen offener Angebote im niedrigschwelligen Kontaktladen (u.a. Hygiene, Ernährung, kontaktorientierte, situationsbezogene Beratung und psychosoziale Unterstützung);
  • Unterstützung von Betroffenenkompetenz und Selbstorganisationsbestrebungen;
  • Reduzierung der Belastung der Öffentlichkeit durch konsumbezogene Verhaltensweisen (Spritzenfunde, öffentliches Konsumgeschehen)

Dass diese Zielbestimmungen auch erreicht werden können, zeigen inzwischen verschiedene wissenschaftliche Praxisbegleitstudien:

  • Die durch die Landeskoordination für berufliche und soziale Eingliederung Suchtkranker NRW durchgeführte wissenschaftliche Erhebung zur Nutzung von Drogenkonsumräumen in NRW (Zwischenbericht vom 1.11.02);
  • Der 2003 fertig gestellte Endbericht „Evaluation der Arbeit der Drogenkonsumräume in der Bundesrepublik Deutschland“, durchgeführt vom Zentrum für angewandte Psychologie, Umwelt- und Sozialforschung, ZEUS GmbH Bonn;
  • Die europäische Gesamtevaluation „Drogenkonsumräume – Gesundheitsförderung und Minderung öffentlicher Belastungen in europäischen Großstädten“, gefördert durch die europäische Kommission (Zurhold/Kreutzfeld/Degwitz/Verthein 2001; weltweit: Kimber et al 2003);
  • Die ergebnisbasierte Praxisbegleituntersuchung „Anspruch und Wirklichkeit von Drogenkonsumräumen am Beispiel Münster“ (Schneider 2004).

Die für NRW verbindliche Praxisbegleitforschung kommt beispielsweise zu folgender Schlussfolgerung: „Die ersten Zwischenergebnisse zur Evaluation der Arbeit der Drogenkonsumräume sind ermutigend. Sie sprechen dafür, dass das primäre Ziel dieses neuen Suchthilfeangebotes erreicht worden ist, drogenbedingte Notfälle abzuwenden und das Überleben von Schwerstdrogenabhängigen durch sofortige Notfallhilfe zu sichern. Durch die Bereitstellung von sterilen Spritzen und Nadeln konnten Infektionen insbesondere mit Hepatitis-Erregern und HIV vermieden werden. Des weiteren ist hervorzuheben, dass durch die vielfältigen Vermittlungen in weiterführende Suchthilfeangebote viele Drogenabhängige wieder dem Suchthilfesystem zugeführt werden konnten. Hierbei wurden auch Drogenkranke erreicht, die keinen Kontakt mehr zum Hilfesystem hatten“ (MFJFG NRW 2002, S. 3f).

Unser Ansatz einer akzeptanz-, sozialraum- und zielgruppenbezogenen Drogenarbeit orientiert sich an den vorhandenen Stärken und nicht an den zugeschriebenen Defiziten drogengebrauchender Menschen in ihrem Lebensraum in einem möglichst verständigungsorientierten und moderierenden Dialog. Empowerment kann als entwicklungsbegleitender Prozess im jeweiligen Sozial- und Handlungsraum verstanden werden. Es beinhaltet Akzeptanzorientierung und Ressourcenadäquanz für diejenigen Menschen, die einen unzureichenden Zugang zu Ressourcen haben. Empowerment geht von Stärken und nicht von Defiziten, von der Gestaltung des eigenen Lebens mit und ohne Drogen aus und versucht dies über moderierende Ressourcenvermittlung und Stützung von Selbstwirksamkeit und Selbstprävention, beispielsweise in riskanten Drogengebrauchssituationen, zu erreichen. Sie zielt auf (Wieder-)Herstellung von Selbstbestimmung über die Umstände des eigenen Lebens. Empowerment ist aber kein Zielzustand, der einmal erreicht wird, kein Produkt, das produziert werden kann.

Dieser gesundheitspräventive, sozialraumbezogene und auf Förderung von Handlungskompetenz ausgerichtete Arbeitsansatz ist als moderierende Unterstützung angelegt, d.h. er basiert auf Freiwilligkeit, verzichtet auf einen verallgemeinernden pathogenen Defizit- und Störungsblickwinkel, auf Unterstellung genereller Behandlungs- und Hilfsbedürftigkeit und zielt auf bedürfnisbezogene Situationsadäquanz der Angebote sowie auf individuell abwägendes Ressourcenmanagement in Selbstverantwortung.

Durch diesen Arbeitsansatz als moderierende Gestaltung eines „offenen“ und vertrauensbezogenen Handlungsrahmens werden drogengebrauchende Menschen nicht mehr als passiv der (jeweiligen) Abhängigkeit ausgeliefert, sozusagen als versklavt, als unmündige Objekte biographischer und drogaler Lebensentwicklung (Opferstatus) angesehen, sondern als Menschen, die aktiv ihr Verhalten steuern und auch verändern können (vgl. Schneider 2000a). So erscheint auch beispielsweise häufig der Lebens- und Handlungsraum „Drogenszene“ meist nur als Ort der Unordnung, Unmoralität und als krimineller Hort. Dabei hat sie auch eine wesentliche subjektive Bedeutung für die Dazugehörenden: Sie besitzt spezifische psychosoziale Funktionen für drogenkonsumierende Menschen. Sie kann z.B. Orientierung vermitteln, Lebenssituationen stabilisieren, Familienersatz beinhalten, Sicherheit gewähren und Identifikationen bereitstellen. Eine akzeptanz- und sozialraumorientierte Drogenhilfe muss dies berücksichtigen.

Ausgehend vom Modell sozialer Unterstützungsformen, d.h. davon, dass es vor allem die subjektiven Wahrnehmungen sind, die Menschen zur Überzeugung kommen lassen, in einem bestimmten Sozialraum anerkannt, akzeptiert und gestützt zu werden, können wir die Unterstützungsmöglichkeiten kriterienbezogen umreißen:

Emotionale Unterstützung (Einfühlungsvermögen, Gesprächsbereitschaft, Offenheit, Vertrauen, Verständnis, Akzeptanz, Verschwiegenheit, Distanzfähigkeit und respektbezogene Grenzziehung der Mitarbeiter);

Instrumentelle Unterstützung (auf Wunsch sofortige Einleitung von Hilfsmaßnahmen wie Vermittlung in Entzug, Substitution, Therapie, weiterführende soziale Hilfen, Gesundheitsprävention, Kriseninterventionen, medizinische Hilfen);

Unterstützung durch Information (zielgerichtete Vermittlung von Informationen im Rahmen von Safer-Use-Hinweisen, sachbezogene, gesundheitspräventive Aufklärung hinsichtlich der Gebrauchsrisiken, Infektionsprophylaxe, Spritzentausch etc.);

Unterstützung der Selbstbewertung (offene und ehrliche Kommunikation ohne Verantwortungsübernahme und Überbetreuungstendenzen (im Sinne einer Klientelisierung), z.B. durch Reflexionshilfen, die den drogenkonsumierenden Menschen Rückmeldung über sich selbst und ihr Verhalten geben, Selbstverantwortlichkeiten verdeutlichen und ihnen somit helfen, sich besser einzuschätzen und selbstbestimmt aktiv zu werden).

Umsetzung der entwicklungsbegleitenden und praxisintegrativen Qualitätssicherung

Zweck des integrativen Modells Niedrigschwelligkeit/DTA/Drogenkonsumraum als sekundärpräventive und sozialraumorientierte Maßnahme der Minimierung von Gebrauchsstabilisierungseffekten und Ermöglichung eines gesunden Überlebens im Handlungsraum der Drogenszene ist es, umfassende gesundheitliche Hilfen anzubieten und die Verringerung gesundheitlicher Risiken beim intravenösen Drogenkonsum zu gewährleisten. Dies geschieht in Münster als ein integratives Konzept im Gesamtkontext der niedrigschwelligen, akzeptanzorientierten Drogenarbeit in enger Kooperation und Koordinierung mit den unterschiedlichsten Hilfs- und Unterstützungsangeboten in Münster. Durch die Einbettung der DTA mit integriertem Drogenkonsumraum in dieses Gesamtkonzept sozialraumorientierter Drogenhilfe sind also intermittierende Hilfen bei Bedarf jederzeit direkt und sofort abrufbar (Beratung, Krisenintervention, Entzugsplatzvermittlung, Substitutionsvermittlung, psychosoziale Unterstützung, lebenspraktische Hilfen bis hin zu Therapievermittlung in enger Vernetzung mit der städtischen Drogenhilfe und anderen Hilfseinrichtungen). Dadurch wird die Hilfsqualität optimiert sowie bedarfsgerecht und effizient gestaltet. Darüber hinaus ist die aktive Teilnahme am „Runden Tisch“ im Rahmen der Ordnungspartnerschaft „Illegale Drogen“ und „Bahnhof“, im Koordinierungsausschuss Drogen, in der AG Drogenhilfe und im Ärztekreis des VTA (Verein zur Förderung der Therapie abhängig Erkrankter) als externe Qualitätszirkel obligatorisch.

Dem integrativen, sozialraumbezogenen „Ambulanz – Konzept“ folgend orientieren sich unsere Arbeitsschwerpunkte auf die „Verzahnung“ des Kernbereichs einer moderierenden und entwicklungsbegleitenden Gesundheitsprävention und Harm-Reduction mit direkt angeschlossenen Handlungsbereichen der Weitervermittlung in entsprechende Versorgungssysteme, also auf das Nebeneinander/Ineinandergreifen differenzierter Begleitungs-/Betreuungsaktivitäten (von Kurzkontakten, Kriseninterventionen und „lockerer“ Begleitung bis hin zu längerfristigen, psychosozialen Unterstützungsverhältnissen beispielsweise im Rahmen des betreuten Wohnens).

Im Zusammenhang der Gesamtangebote werden kostenlos Kondome ausgegeben und nicht limitierte, steril verpackte Spritzen verschiedenster Fabrikate (u. a. auch filterintegrierte Spritzen zur Vermeidung des sog. „Filteraufkochens“) und Kanülen abgegeben sowie entsprechende Utensilien für eine hygienische Applikation wie destilliertes Wasser, Ascorbin, Alkoholtupfer, Löffel, Filter, Pflaster, Desinfektionsmittel, Pflegesalben, Alufolie („Blech-Rauchen“) bereitgehalten (Spritzentauschprogramm).

Der integrierte Drogenkonsumraum ist räumlich vom Drogenkontaktladen und der DTA getrennt und bietet alle Voraussetzungen für eine hygienische Applikation von mitgebrachten Drogen. Die einzelnen Flächen bestehen aus abwaschbaren Materialien. Der Raum kann ständig belüftet und beleuchtet werden und ist jederzeit durch eine Scheibe einsehbar. Permanente Säuberung und tägliche Desinfektion sind obligatorisch. Der Drogenkonsumraum verfügt darüber hinaus über ausreichende sanitäre Anlagen. Eine sachgerechte Entsorgung der Gebrauchsutensilien ist sichergestellt.

Notfallplan

Während des Betriebes des Drogenkonsumraums ist eine ständige Sichtkontrolle der Applikationsvorgänge durch in der Notfallversorgung geschultes Personal sichergestellt (Arzt, Rettungssanitäter). Darüber hinaus sind alle Mitarbeiterinnen beim INDRO e.V. in Erste-Hilfe-Maßnahmen bei Drogennotfallsituationen medizinisch geschult und werden permanent in Reanimationskursen und Arbeitssicherheit weitergebildet. Es besteht ein ständiger Kontakt mit Notfallärzten (Rufnummer 112), die in Notfallsituationen in ca. 5 – 10 Minuten vor Ort sein können. Eine intensive Kooperation mit dem Institut für Rettungsmedizin Münsterland dient der fachlichen Kompetenzerweiterung durch permanente Fortbildung und als externe Qualitätssicherung. Weiterhin werden Notfälle ausführlich dokumentiert und ausgewertet. Diese Dokumentationen dienen so als Grundlage für mögliche Änderung des Notfallplans im alltäglichen, diskursiven Vollzug (interne Qualitätszirkel).

Der Zugang zum Drogenkonsumraum ist für externe Rettungsdienste schnell und problemlos erreichbar. Bei einer Notfallversorgung aufgrund von Mischintoxikationen (polyvalenter Gebrauch) oder zufälligen Überdosierungen hinsichtlich des immer schwankenden Reinheitsgehaltes kann medizinisch sofort reagiert werden: Beatmungshilfsmittel wie Beatmungsmaske und Ambu-Beutel, medizinische Liege, Beißkeile, Blutdruckmessgerät, Hyperventilationsmasken und Rettungsdecke sowie mehrere Notfallkoffer mit Sauerstoffflaschen sind bezüglich der Erstversorgung bis zum Eintreffen der Rettungsdienste sofort verfügbar.

Es ist bekannt, dass die gegebenen Konsumvoraussetzungen auch die Möglichkeit eines Drogennotfalls erhöhen. Durch wechselnde Qualität der Substanzen steigt das gesundheitliche Risiko und ist zudem durch die vielen Strecksubstanzen wie z.B. Koffein, zerstampfte Tabletten, Milchzucker, Talkum kaum kalkulierbar. Angst vor strafrechtlicher Verfolgung bestimmt darüber hinaus auch die Art und Weise des Konsums. Es ist ferner seit langem bekannt, dass aus Angst vor Entdeckung durch die Polizei in der Öffentlichkeit meist schnell, riskant und unhygienisch in Hauseingängen, öffentlichen Toiletten und in Gebüschen konsumiert wird. Dies begünstigt enorm das Entstehen von Drogennotfällen und weiterhin auch von Begleiterkrankungen wie Abszesse und Infektionskrankheiten. Besonders gefährlich ist jedoch der „erste Schuss“ nach einer Entzugs- oder Therapiebehandlung. Der Drogenkonsumraum ermöglicht hier direkte Überlebenshilfe, erhöht die Rettungswahrscheinlichkeit und bietet einen Schutzraum hinsichtlich der hygienischen und medizinisch kontrollierten Applikation von Drogen.

Die Qualitätssicherung der zu nutzenden Angebote erfolgt über regelmäßige interne Qualitätszirkel der verantwortlichen Mitarbeiter und im Rahmen einer alltagspraktisch bezogenen Behavior-Setting-Analyse nach den oben genannten Kriterien, um sofort im Arbeitsalltag notwendige Veränderungen vornehmen zu können. Die Optimierung des Drogennotfallplans, der auch für den integrativen Bereich des niedrigschwelligen Kontaktladens bedeutsam ist, erfolgt durch eine ständige, arbeitspraxisbezogene Aktualisierung und wird durch permanente Weiterbildung im Erste-Hilfe-Bereich und Reanimation im Rahmen ärztlicher Unterweisung gewährleistet. Er ist für alle Mitarbeiter verbindlich. Zudem liegen für Mitarbeiter und Konsumenten entwickelte Safer-Use-Broschüren und Faltblätter zu allen relevanten Drogen wie Heroin, Kokain, Amphetamin und zu entsprechenden Gebrauchsmustern wie Folierauchen vor. Dadurch wird eine Gesamtprofessionalisierung im Team erreicht. Dies hat auch dazu beigetragen, Unsicherheiten im Umgang mit Drogennotfallsituationen abzubauen.

Safer Use und Infektionsprophylaxe

Insbesondere die „Praktik“ des sog. Filtersammelns und Filteraufkochens birgt große Infektionsgefahren. Filter werden bei der Aufbereitung von Heroin und Medikamenten auf dem Löffel benutzt, um nicht aufgelöstes Material wie Beimengungen möglichst von Nadel und Spritze fernzuhalten. Den Filtern wird irrigerweise ein Schutz vor Bakterien, Viren und Pilzsporen zugeschrieben, dazu taugen sie jedoch keineswegs. Extrem problematisch ist darüber hinaus die wiederholte Verwendung ein und desselben Filters: „Gebrauchte Filter enthalten neben Verschmutzung auch geringe Rückstände an Heroin. Durch Verwahren und Wiederaufkochen meist mehrerer gebrauchter Filter kann ein weiterer Schuss zusammengespart werden. Das Aufkochen bedeutet keineswegs eine thermische Desinfektion, wie vielfach angenommen. Dafür reicht das kurze Erhitzen auf dem Löffel keinesfalls aus. Filter sind ein klassischer Übertragungsweg vieler Infektionen und mitverantwortlich für eine Reihe gesundheitlicher Probleme“ (HEUDTLASS et al 2000, S.122).

Im Rahmen des integrativen Modells Niedrigschwelligkeit/DTA/Drogenkonsumraum leisten wir hier gezielte Aufklärungsarbeit über die Bedeutung der gesundheitlichen Vorteile der Benutzung der von uns vorgehaltenen filterintegrierten Spritzen, die übrigens auch nicht wieder verwendbar sind.

Der intravenöse Konsum ist eine äußerst riskante Gebrauchsmethode. Die gemeinsame Verwendung einer Spritze oder gar das Teilen der Droge von einem Löffel mit bereits benutzten Spritzen kann zur Übertragung von HIV und Hepatitis B und C führen. Dies wird im Drogenkonsumraum nicht geduldet. Es erfolgt zudem keine aktive Unterstützung beim Drogengebrauch. Durch unsterile Spritzen, schmutzige Hände, verunreinigtes Wasser (etwa von der Bahnhofstoilette oder gar aus Wasserpfützen) und nicht desinfizierte Einstichstellen können Blutvergiftungen und Abszessbildungen ausgelöst werden. Fruchtfasern des möglicherweise verwandten Zitronensaftes oder Verunreinigungen des Heroins können darüber hinaus Thrombosen, Embolien, Herzkrankheiten, Venenentzündungen und Schüttelkrämpfe (der gefürchtete „Shake“) bewirken. Weiterhin können durch die unbekannte Konzentration des Heroins beispielsweise bei einem ungewohnt hohen Reinheitsgehalt Überdosierungen die Folge sein. Hier leisten wir gezielte gesundheitspräventive Aufklärungsarbeit durch ärztliche Informationen zu den Risiken des intravenösen Gebrauchs von Drogen. Ferner verteilen wir – sozusagen flächendeckend – Safer-Use-Faltblätter (auch in russischer Sprache) mit zielgruppenspezifischen Hinweisen für eine risikoärmere Applikation.

Seit einigen Jahren stellen wir eine Zunahme der Gebrauchsform des Folierauchens – insbesondere bei russlanddeutschen Konsumierenden – fest. Diese in den Niederlanden recht verbreitete Konsumform wird auch „chasing the dragon“ (den „Drachen jagen“) genannt. Dabei wird das Heroin auf einer Alufolie erhitzt. Das Heroin verflüssigt sich zu einer ölhaltigen Substanz und die nun entstehenden Dämpfe werden mit Hilfe eines Röhrchens inhaliert. Koffein verbessert die Verdampfung und je nachdem wie rein das Heroin ist, kann der Anteil des Heroins im Dampf sehr hoch sein. Zu den gesundheitlichen Auswirkungen des Folie-Rauchens ist bisher leider wenig bekannt: Die Risiken sind jedoch geringer als beim intravenösen Gebrauch. Überdosierungen sind selten, da das Heroin direkt wirkt. Die Intensität wird vom Konsumenten sofort gespürt, insofern können Überdosierungen relativ sicher vermieden werden. Das Inhalieren schädigt jedoch die Atemwege, und bei einem schlechten gesundheitlichen Allgemeinzustand kann eine Lungenentzündung auftreten.

Wir haben auf diese Applikationsform reagiert, geben im Rahmen des Spritzentauschangebotes vermehrt Alufolie aus und weisen im Kontext eines eigens dazu entwickelten Faltblattes zum „Folie-Rauchen“ auf diese risikoärmere Gebrauchsform, aber auch auf ihre durchaus vorhandenen Risiken, hin. Durch die Einrichtung eines „Raucherraumes“ im Drogenkonsumraum ist dieser Gebrauchspraktik Rechnung getragen worden. Auch in diesem Bereich erfolgt eine permanente Aus- und Weiterbildung des gesamten Teams durch regelmäßige Erweiterung des Wissens und Aktualisierung entsprechender Informationen zum Safer-Use (Safer-Use-Trainings).

Ein permanenter Austausch mit anderen Anbietern im niedrigschwelligen Arbeitsbereich erfolgt über den externen Qualitätszirkel der AG-Niedrigschwelligkeit auf Landesebene, welche über die Koordinationsstelle für niedrigschwellige Drogenarbeit, die beim INDRO e.V. angesiedelt ist, organisiert wird. Hier erfolgt ein Erfahrungsaustausch über die vorgehaltenen Angebote wie z.B. Drogenkonsumräume, werden Umsetzungsstrategien erörtert und Verbesserungsvorschläge diskutiert. Jede Trägerorganisation lernt demzufolge über Aspekte des eigenen „Behavior-Setting“ zu reflektieren und möglichst zügig Änderungen im Gesamtprogramm umzusetzen, falls es notwendig erscheint. Es erfolgt sozusagen ein externes Benchmarking in abgespeckter, preiswerter Form.

Zugangskriterien, Hausordnung und Maßnahmen zur Verhinderung von Straftaten

Im Drogenkonsumraum dürfen Konsumentschlossene nach Unterzeichnung der für alle verbindlichen Vereinbarung über die Zugangsbedingungen sich selbst

  • eine eigene Ration illegalisierter Substanzen (wie Opiate, Kokain, Amphetamin oder deren Derivate) intravenös, oral, nasal oder inhalativ,
  • in dem eigens dafür ausgestatteten Raum (Drogenkonsumraum) applizieren,
  • wenn sie volljährig und drogenabhängig sind und
  • erkennbar nicht mit Ersatzstoffen substituiert werden.

Laut Rechtsverordnung des Landes NRW dürfen alkoholisierte und „offensichtlich intoxikierte“ (?) Personen, bei denen die Benutzung des Drogenkonsumraums ein erhöhtes Gesundheitsrisiko verursachen könnte, keinen Zugang erhalten. Zudem dürfen offenkundige Erst- und Gelegenheitskonsumenten und „erkannte Substituierte“ (?) kein Einlass erhalten. Hier ist auf andere Beratungs- und Hilfseinrichtungen hinzuweisen. Jugendlichen mit Drogenabhängigkeit und Konsumerfahrung darf der Zugang nach direkter Ansprache nur dann gestattet werden, wenn die Zustimmung der Erziehungsberechtigten vorliegt oder die Mitarbeiter sich im Einzelfall nach sorgfältiger Prüfung anderer Hilfsmöglichkeiten vom gefestigten Konsumentschluss überzeugt haben. Die von den Nutzern mitgeführten Betäubungsmittel müssen einer Sichtkontrolle unterzogen werden.

Nach Maßgabe der Rechtsverordnung über den Betrieb von Drogenkonsumräumen des Landes NRW sind Verstöße gegen das BtMG, mit Ausnahme des Besitzes von Betäubungsmitteln in geringer Menge zum Eigenverbrauch – insbesondere Handel, Abgabe und Überlassung von Drogen -, verboten. Entsprechende Vorkommnisse werden von uns unverzüglich unterbunden und mit Hausverboten belegt. Regelmäßige Abstimmungsgespräche mit den zuständigen Gesundheits-, Ordnungs- und Strafverfolgungsbehörden im Rahmen der Ordnungspartnerschaft „illegale Drogen“ finden statt, um frühzeitig eventuelle Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und die Begehung von Straftaten im unmittelbaren Umfeld des Drogenkonsumraums zu verhindern sowie den niedrig-schwelligen Zugang zum Drogenkonsumraum zu sichern. Eine externes Controlling aller Abläufe erfolgt durch die Bezirksregierung.

Die folgende mit den zuständigen Gesundheits-, Ordnungs- und Strafverfolgungsbehörden abgestimmte Hausordnung ist gut sichtbar im Drogenkonsumraum und im niedrigschwelligen Kontaktladen ausgehängt (auch in russischer Sprache):

  • Der Handel, die Weitergabe und das Teilen von Drogen sind verboten;
  • Der Konsum von Drogen ist nur im Konsumraum erlaubt;
  • Keine Gewalt und Gewaltandrohung gegen Personen und Gegenstände;
  • Keine gemeinsame Verwendung einer Spritze;
  • Kein Teilen der Drogen von einem Löffel;
  • Keine Hehlerei;
  • Rauchen (außer „Folierauchen“), Essen und Trinken ist verboten.

Zuwiderhandlungen werden mit Hausverboten bestraft. Jeder Konsument sorgt nach erfolgter Applikation für das Reinigen seines Platzes und für die Entsorgung der Gebrauchsutensilien. Injektionshilfen werden nicht geleistet. Ferner besteht ein Gebot des Eigenverbrauchs und der Nutzung bereitgestellter Utensilien.

Werbung für den Drogenkonsumraum wird unterlassen und nur zielgruppenspezifisches Informationsmaterial zur Verfügung gestellt (Safer-Use-Faltblätter).

Arbeitsflexibilisierung und Rotation

Die Arbeit im integrativen Modell Niedrigschwelligkeit/DTA/Drogenkonsumraum erfordert von den Mitarbeitern ein hohes Maß an Professionalität und setzt verschiedene Fähigkeiten auch im Sinne akzeptanzorientierter Drogenarbeit voraus: Verständnis für die Lebenssituation der Drogenkonsumenten, ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Nähe und Distanz, keine Verantwortungsübernahme, Kenntnisse der einzelnen Substanzen und deren Wirkweisen sowie Risiken, Fähigkeit zur Teamarbeit, Durchsetzungsvermögen, Autorität und Authentizität, die Fähigkeit, mit Stress-, Gewalt- und Notfallsituationen umgehen zu können und Flexibilität. Da die Arbeit im integrativen Arbeitsbereich Niedrigschwelligkeit/DTA/Drogenkonsumraum psychisch und auch physisch recht belastend ist, orientieren wir uns an der Flexibilisierung des gesamten Arbeitbereichs, d.h. alle Mitarbeiter sind in alle Arbeitszusammenhänge einbezogen, so dass es keine Arbeitsabgrenzung und Isolierung gibt. Dies hat die Arbeitszufriedenheit wesentlich erhöht.

Wichtiger Nebeneffekt einer Arbeitsflexibilisierung: Es gibt keine Wartezeiten für drogengebrauchende Menschen, die kontaktorientierte, situationsbezogene (nicht klassisch therapeutisierende) Beratung oder sofortige Hilfe und Unterstützung benötigen. Diese Flexibilisierung wird von uns auch als „Rotationsprinzip“ bezeichnet: Alle Mitarbeiter von INDRO e.V. werden rotierend in die Arbeit des Gesamtangebotes bei klaren Verantwortlichkeitszuordnungen durch ein für alle verbindliches Organigramm der Arbeitseinheiten einbezogen. Diese aufgrund der täglichen Öffnungszeiten (9:00 – 17:00 Uhr) notwendige Flexibilisierung und die jahrelange, historisch gewachsene, interne supervisorische Theorie-Praxisbegleitung (siehe: INDRO e.V. 2003b) hat zu einer hohen Identifikation der Mitarbeiter mit der „INDRO-Philosophie“ (Leitbild) akzeptanzorientierter Drogenarbeit, zu keiner Fluktuation bei den fest angestellten Mitarbeitern und somit zu einer stabilen Mitarbeiterzufriedenheit geführt.

Am Beispiel der psychosozialen Unterstützung von Substituierten (PSB) lässt sich die Flexibilisierung der Arbeitsvollzüge verdeutlichen: So ist im Bereich von PSB nicht nur der offizielle Stelleninhaber des Landesförderungsprojektes Ansprechperson für Substituierte und deren Ärzte, sondern gleichzeitig sind auch alle weiteren Mitarbeiter der Einrichtung rotierend und flexibel im Rahmen der von uns genannten entwicklungsbegleitenden, psychosozialen Unterstützung (EPU) tätig. Dies bietet eine offene Gestaltung der Arbeit ohne Terminabsprache während der Gesamtöffnungszeiten. Das bedeutet auch ganz konkret, es gibt keinen spezifischen „Alleinvertretungsanspruch“ eines Mitarbeiters. Somit wird bei Bedarf eine direkte, schnelle und flexible Unterstützung als nutzerorientierte Dienstleistung jederzeit möglich – Wartezeiten entfallen, nicht nur in akuten Krisensituationen (vgl. Schneider/Gerlach 2004). Bei entsprechendem Bedarf kann allerdings auch eine persönliche Betreuungskontinuität für einen Substituierten durch einen bestimmten Mitarbeiter ermöglicht und gewährleistet werden.

Diese Flexibilisierung findet also auch in allen anderen Arbeitsfeldern erfolgreich Praxisanwendung (Kontaktladen, DTA, Konsumraum, Betreutes Wohnen).

Behavior-Setting-Probleme, Einzelfallbesprechungen, teaminterne Probleme werden direkt im Arbeitsalltag interaktiv-diskursiv durch bedarfsorientierte, situationsbedingte, interne Qualitätszirkel abgehandelt. Unser praxisintegriertes Gesamtmodell ist kostensparend, nutzerorientiert, flexibilitätsfördernd, qualitätsgenerierend und wirkt sich – so zeigen unsere jahrelangen Erfahrungen – fluktuationsmindernd auf den Mitarbeiterstab aus und ermöglicht so eine für diesen Arbeitszusammenhang notwendige personelle Kontinuität und damit Professionalisierung. Somit wird es möglich, das im Rahmen der integrativen Arbeit „Niedrigschwelligkeit/ DTA/Konsumraum“ geforderte Mehrfachhandeln organisationskompetent, stressreduzierend und engagiert umzusetzen: Handeln im Bereich von Dienstleistung, Pflege, Unterstützung/Beratung und Kontrolle, die allerdings dem Behavior-Setting entsprechend nicht „überdimensioniert“ sein darf.

Dieses Modell ist jedoch nur in kleineren „Lebenswelteinheiten“ von Einrichtungen umsetzbar und setzt eine gemeinsame, gewachsene Entwicklungsgeschichte bei Projektplanungen, Projektumsetzungen und Arbeitsvollzügen voraus, wie dies beim INDRO e.V. der Fall ist (siehe: INDRO e.V. 2003b). Da wir nur Projektförderungsmittel für klar ausgewiesene und zu verwendende Projekte erhalten, ist es uns aus Kostengründen nicht möglich, Qualitätsmanagementkurse, die zu horrenden Preisen angeboten werden, viel Zeit benötigen und somit zu Lasten der eigentlichen Praxisarbeit gehen, in Anspruch zu nehmen (ein Sekretariat ist zudem nicht finanzierbar und die Räumlichkeiten werden gemeinsam von allen Mitarbeitern täglich geputzt). Darüber hinaus ist es uns auch nicht möglich, eine neue Stellenbeschreibung zu entwickeln und einen Mitarbeiter als sog. „Qualitätsbeauftragten“ freizustellen, da dies aufgrund der eindeutig nach festgelegten Positionen nachzuweisenden Projektmittel finanziell nicht umsetzbar ist (keinerlei Rücklagen). Dies würde darüber hinaus auch personelle Ressourcen für die praktische Arbeit entziehen, was wiederum zu Lasten der Nutzer unserer Angebote gehen würde (Konsequenzen: Öffnungszeiten- und Angebotsreduktion). Insofern ist unser praxisintegratives und entwicklungsbegleitendes Qualitätssicherungsmodell nur so, also integrativ, interaktiv, diskursiv und kombiniert mit der Flexibilisierung von Arbeitsvollzügen umsetzbar.

Öffnungszeiten

Im Drogenkonsumraum können – aufgrund der baulichen Enge und räumlichen Begrenztheit – vier Plätze (maximal sechs Plätze) zur intravenösen Applikation und ein Raucherplatz mit geschlossener Entlüftung zur Verfügung gestellt werden. Folgende Gesamtöffnungszeiten werden vorgehalten:

Montag – Dienstag: 9.00 – 17.00 Uhr (Niedrigschwelligkeit/DTA); 11.00 -17.00 Uhr (Konsumraum);

Mittwoch: 9.00 – 17.00 Uhr (Niedrigschwelligkeit/DTA); 10.00 – 13.00 Uhr (Frauenangebot mit Kinderbetreuung); 11.00 – 17.00 Uhr (Konsumraum);

Donnerstag: 9.00 – 17.00 Uhr (Niedrigschwelligkeit/DTA); 11.00 – 13.00 Uhr (Frühstücksangebot); 11.00 – 17.00 Uhr (Konsumraum);

Freitag: 9.00 – 16.00 Uhr (Niedrigschwelligkeit/DTA); 11.00 – 16.00 Uhr (Konsumraum).

Umfassender Spritzentausch und Entsorgung im Verbund mit der täglichen mobilen Spritzenentsorgung im Stadtgebiet (Projekt MSE) insbesondere auf zentral gelegenen Spielplätzen runden die Angebotspalette ab. Samstags und sonntags erfolgt darüber hinaus die Betreuung der Spritzenautomaten.

Dokumentation

Die Nutzungsfrequenz des Drogenkonsumraums wird beständig dokumentiert. Täglich werden Daten zur Angebotsnutzung im Rahmen einer statistischen Aufbereitung erhoben und wöchentlich an die Landeskoordination Integration NRW geschickt. Monatlich erfolgt auf der Grundlage dieser Daten ein zusammenfassender Lagebericht für die städtische Ordnungspartnerschaft als externes Kontrollgremium.

Dokumentationskriterien sind:

  • Konsumvorgänge;
  • Geschlecht;
  • konsumierte Substanzen;
  • Altersgruppen;
  • Drogennotfälle;
  • medizinische und psychosoziale Hilfsleistungen;
  • Hausverbote;
  • Vermittlungen in weiterführende Versorgungssysteme;
  • besondere Vorkommnisse im und um den Konsumraum.

Darüber hinaus wird täglich ein Konsumraum-Info-Buch geführt, in dem alle Vorkommnisse, Besonderheiten, Mitarbeitererfahrungen protokolliert festgehalten werden. Dieses Info-Buch dient neben der teambezogenen Aufarbeitung von Alltagserfahrungen auch dazu, bestimmte (mögliche) Auswirkungen auf das soziale Umfeld unserer Einrichtung sowie besondere Vorkommnisse zu dokumentieren (Beeinträchtigungen Dritter, Szenebildung vor dem Eingangsbereich, Störung der öffentlichen Ordnung im Umfeld der Einrichtung etc.).

Nach Öffnung der Drogentherapeutischen Ambulanz 1999 und durch die Verlagerung des Spritzentausches in den Eingangsbereich unserer Einrichtung (Spritzentausch täglich von 9.00 – 17.00 Uhr) konnte die Versorgungssituation wesentlich verbessert werden (nach eigenen Zählungen werden wöchentlich ca. 3000 Spritzen – auch bedingt durch die Nutzung des Drogenkonsumraums – getauscht und sachgerecht entsorgt). Zudem werden Safer-Use-Faltblätter auch in russischer Sprache verteilt, die Anleitungen, Aufklärungen und Vermittlungen über HIV- und Hepatitis-präventive Botschaften, Safer-Use-Strategien wie Risiken beim Needle-Sharing, Drogen-Teilen aus einer Spritze und Risiken sexueller Übertragungen beinhalten (Infektionsprophylaxe). Bei Wundinfektionen und Abszessbildungen werden desinfizierende Salben, Verbandsmaterial, durchblutungsfördernde und gewebebildende Salben bereitgestellt. Allgemeine Gesundheitsberatung, Hygiene und Pflege ist obligatorisch.

Wie bereits erwähnt, werden alle INDRO-Mitarbeiter permanent durch Reanimationskurse und Erste-Hilfe-Maßnahmen weitergebildet.

Daten zur Angebotsnutzung der Niedrigschwelligkeit/DTA werden darüber hinaus täglich nach folgenden Kriterien statistisch erhoben:

  • Medizinische und soziale Beratungsgespräche;
  • Abszessbehandlungen;
  • Medizinische Versorgung wie Wundbehandlungen;
  • Gespräche über Safer-Use;
  • Kriseninterventionen;
  • Weitervermittlungen: Substitution, Entzug, Therapie, Arzt, Krankenhaus, weiterführende soziale Hilfen.

Darüber hinaus wird auch ein Niedrigschwelligkeit/DTA-Info-Buch geführt, in dem alle Besonderheiten, Auffälligkeiten, Themenschwerpunkte, Belastungen, Erfahrungen etc. festgehalten wurden. Hier geht es darum, neben der Erfassung „harter“ Daten zur Nutzung des integrativen Modells Niedrigschwelligkeit/DTA/Drogenkonsumraum „subjektive“ Daten aus der Sicht der Mitarbeiter und Angebotsnutzer im Handlungskontext sozialraumbezogener Drogenhilfe zu erfassen, um somit auch die „erlebnisorientierte und entwicklungsbegleitende Perspektive“ einzubeziehen: Die im Info-Buch aufgeführten Erlebensmomente werden zur Grundlage fallbezogener Teambesprechungen und dienen somit der Aufarbeitung von Alltagsbelastungen und zum Ausloten spezifischer Bedürfnislagen unserer Besucher. Diese Kombination von praxisbezogener Datenerhebung mit der Fixierung „subjektiver“ Elemente der Erfahrungsverarbeitung erscheint uns dazu geeignet, die Mitarbeiter- und Nutzerperspektive im Sinne eines qualitätsbezogenen „Feedbacks“ zu nutzen, um die Unterstützungsqualität weiterhin zu sichern und um gerade im sensiblen, niedrigschwelligen und akzeptanzorientierten Drogenarbeitsbereich Angebotsstrukturen eventuell zu modifizieren und darauf aufbauend bedarfsgerechte Unterstützungsmöglichkeiten weiterzuentwickeln und Veränderungen ohne hierarchische Leitungsabstimmung sofort umzusetzen.

Diese direkte teambezogene Abstimmung dient dazu, die Mitarbeiterzufriedenheit und die Nutzerzufriedenheit im Rahmen der gegebenen Strukturbedingungen zu gewährleisten und zu sichern. D.h. „Qualitätssicherung“ setzt sich hier unmittelbar in der Dynamik des täglichen Miteinanders kommunikativ um und bedarf somit keiner verbürokratisierten, institutionalisierten „Kommissionsbildung“, die die alltägliche Arbeit nur behindert und hemmt: Qualitätssicherung erfolgt hier – wie wir ausgeführt haben – im qualitativen, prozessorientierten und nicht im quantitativen Sinne (vgl. Schneider 1998). Dieser qualitativ gestützte und interaktiv umgesetzte Verlaufs- und Arbeitszusammenhang über

Leitbild (unsere Grundphilosophie) akzeptanzorientierter Drogenarbeit,

Konzeption,

Umsetzungsstrategie,

Zielerreichung und

Veränderung

lässt sich als ein permanenter Bewertungsprozess im diskursiv-interaktiven Sinne begreifen und definiert so praxisbezogen und unmittelbar die gemeinsamen Gestaltungsmöglichkeiten. Da unsere Räumlichkeiten „offen“ sind, d.h. kein Mitarbeiter kann sich in ein eigenes Büro zurückziehen (weil es keine gibt), ist dieses kommunikative, interaktive Verfahren neben der Flexibilisierung/Rotation die „conditio sine qua non“ unseres doch eher „kleinen“ Arbeitszusammenhanges.

Zudem werden in regelmäßigen Abständen Nutzerinterviews (standardisierte und/oder fokussierte Interviews) auf der Grundlage eines von uns bereits 1991 entwickelten methodischen Erhebungs- und Auswertungsverfahrens durchgeführt (Engemann 1991; Kemmesies/Schneider 1991). Folgende Fragenkomplexe zur Erfassung der Nutzerzufriedenheit gelangen dabei zur Anwendung:

  • Bedeutung des Kontaktladens;
  • Zufriedenheit mit den Angeboten;
  • Zufriedenheit mit den Hilfestellungen;
  • Offenheit der Angebote;
  • Zukünftige Veränderungswünsche;
  • Zufriedenheit mit den Öffnungszeiten;
  • Räumlichkeiten;
  • Regeln und Normen im Kontaktladen/Konsumraum;
  • Hausordnung im Kontaktladen/Konsumraum;
  • Safer Use/Spritzentausch;
  • Infektionsprophylaxe.

Unser qualitativ und entwicklungsbegleitend angelegtes Qualitätssicherungsverfahren wird abgerundet durch wöchentliche Team- und Organisationsbesprechungen, interne und externe Qualitätszirkelsitzungen und durch das monatlich tagende Gremium der sog. „Projektsicherungsgruppe“. Hier laufen sozusagen die Fäden zur Optimierung und Weiterentwicklung der Praxisausgestaltung zusammen.

Das gesamte Verfahren unserer entwicklungsbegleitenden und praxisbezogenen Qualitätssicherung ist insofern als ein kontinuierlicher Prozess und als integraler Bestandteil der täglichen Arbeit angelegt und organisiert. „Evaluation“ ist dann nicht mehr etwas, das periodisch als Praxisbegleitforschung extern organisiert und in die jeweilige Einrichtung hineingetragen wird (und somit teuer ist, was von uns aufgrund der finanziellen Lage auch nicht bezahlbar wäre), sondern ist wie der Arbeitszusammenhang selbst integrativ und dynamisch.

Drogenhilfe insgesamt wird sich aufgrund gravierender Mittelkürzungen reorganisieren müssen, von daher erscheint die Flexibilisierung von Arbeitsvollzügen und Organisationsformen nebst interner Qualitätssicherung sowie Praxisreflexion unabdingbar. Und dies ferner auch aus dem Grunde der Bedeutung von Drogenhilfe (wie übrigens die gesamte Soziale Arbeit) als „kompetenter“ Umgang mit Uneindeutigkeiten und Willkürlichkeiten.

Zielsetzungen einer entwicklungsbegleitenden und praxisintegrativen Qualitätssicherung sind:

  • Partizipatorische, integrative Ausrichtung;
  • Abbau hierarchischer, bürokratischer Strukturen und Abteilungsleitermentalitäten;
  • Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeiter und Nutzer (eindeutige Verantwortlichkeitsregelungen);
  • Kooperative Koordinierung von Arbeitsabläufen;
  • Entwicklung und Stabilisierung einer Grundphilosophie (Leitbild) akzeptanzorientierter Drogenarbeit;
  • Flexibilisierung der Arbeit und Rotationsprinzip (Stützung der Mitarbeiterzufriedenheit) sowie Aufbau eigenverantwortlicher Qualitätszirkel;
  • Supervisorische Theorie-/Praxisbegleitung;
  • Herstellung von Nutzerzufriedenheit;
  • Offenheit zur Entwicklung von Visionen;
  • Transparenz der Arbeitsvollzüge;
  • Koordination/Kooperation mit allen Versorgungssystemen und Dienstleistungsanbietern „vor Ort“ (strukturierte Vernetzung);
  • Direkter teambezogener Informationsfluss;
  • Gezielte Öffentlichkeitsarbeit;
  • Begleitende Koordinierung mit den regionalen Sicherheits-, Ordnungs- und Gesundheitsbehörden.

Das Leistungsangebot Niedrigschwelligkeit/DTA/Drogenkonsumraum entspricht somit den Erfordernissen einer bedarfs- und bedürfnisgerechten sowie wirtschaftlichen Leistungserbringung. Die Qualität lässt sich im Sinne unseres entwicklungsbegleitenden Ansatzes wie folgt zusammenfassend gliedern:

Strukturqualität als Bedingungsebene

  • Fachkompetenz der Mitarbeiter
  • Eigenverantwortliche Durchführung der Unterstützungsleistungen
  • Kooperation und Koordinierung mit allen Versorgungssystemen und Administratoren „vor Ort“
  • Dokumentation und Selbstevaluation
  • Leitbild
  • Behavior-Setting-Analysen

Prozessqualität als Handlungsebene

  • Flexibilisierung/Rotation
  • Qualitätszirkel
  • Direkter Informationsfluss praxisrelevanter und forschungsbezogener Veröffentlichungen
  • Transparenz der Angebote
  • Offenheit
  • Interaktiver Dialog
  • Sofortige Hilfe und Unterstützung

Ergebnisqualität als Zielebene

  • Entwicklungsbegleitende, sofortige Umsetzung von Verbesserungen im Praxisalltag
  • Entwicklung passender Unterstützungsarrangements für Angebotsnutzer im Sinne von Harm- Reduction
  • Ergebnisbezogene, sofortige Innovationen
  • Herstellung von Nutzerzufriedenheit
  • Umfassende Öffentlichkeitsarbeit
  • Jahres- und Projektberichte

Unser hier vorgelegtes, entwicklungsbegleitendes und praxisintegratives Qualitätssicherungsverfahren ist arbeitsalltagsbezogen, qualitativ begründet und auf ein niedrigschwelliges Gesamtkonzept regional ausgelegt, insofern nicht übertragbar. Es ist ferner den Besonderheiten akzeptanzorientierter Drogenarbeit verpflichtet, bedarf demzufolge eines klaren „Leitbildes“ als Grundverständnis akzeptanzorientierter Drogenarbeit (Schneider 1994; Gerlach/Engemann 1998) und flexibel organisierter Arbeit in konkreter Vernetzung mit anderen Unterstützungs- und Versorgungssystemen. Das heißt, sie hebt sich eindeutig von marktwirtschaftlich orientierten Steuerungsmodellen nach dem funktionalen Motto „minimaler Input – maximaler Output“ einer standardisierten und rein quantitativ bezogenen Effizienzsteuerung (Zweck-Mittel-Logik instrumenteller Rationalität bei unsicherer „Erfolgsbestimmung“ durch Ignorierung des „subjektiven Faktors“ und deren Dynamik) ab. Sie berücksichtigt die realitätsbezogene Mehrdeutigkeit und Willkürlichkeit aller Lebensvollzüge und -situationen, den Eigensinn erlebter und zu erlebender Handlungen, die nicht planbar und stufenbezogen steuerbar sind.

In der Drogenhilfe, insbesondere im niedrigschwelligen Bereich, geht es um Selbstbestimmung und Selbstverantwortlichkeit, die durch unmittelbaren Lebensweltbezug gestützt werden können. Es ist eine Grunderfahrung im Drogenhilfebereich, dass selbst wenn „wir“ Grund für die Annahme haben, „unsere“ Hilfeleistung hat zu einer Veränderung im (biographischen und drogalen) Lebensvollzug beim Unterstützenden geführt, können „wir“ nicht sicher sein, ob das Erreichen des Ziels (beispielsweise ein reduzierter Konsum oder Abstinenz) tatsächlich auf die eingesetzten „pädagogischen Mittel“ oder nicht vielmehr auf umweltgestützte Eigenleistung „des Betreuten“ zurückzuführen ist. Es gibt halt keine kausal wirkenden Methoden zur planmäßigen Veränderung von Menschen im gesamten sozialen Bereich, auch wenn immer wieder so getan wird, als gäbe es sie. Denn würde es sie geben, bräuchten wir keine Sozialarbeit, keine Drogenhilfe mehr.

Wie wir bereits in den Prämissen verdeutlicht haben: Die Nutzer unserer Unterstützungsangebote produzieren ihr Leben selbst und dies mit und ohne Drogen. Unsere langjährigen Erfahrungen im niedrigschwelligen Drogenarbeitsbereich sowie in der qualitativen Drogenforschung zeigen, dass adressaten- und bedürfnisbezogene Hilfestellungen ohne Verpflichtungsanspruch und moralischer Wertigkeit/Diktion unter Berücksichtigung von Selbstbestimmung und Selbstverantwortlichkeit der zu Unterstützenden und Flexibilisierung der Arbeitszusammenhänge geeignet sind, arbeitshinderliche Zwangs- und Regulierungsmechanismen zu minimieren und der Heterogenität unter drogengebrauchenden Menschen gerecht zu werden sowie unnötige Instrumentalisierungen von Angebotsnutzern zu vermeiden. Es muss jedoch auch weiterhin verhindert werden, dass Hilfe und Unterstützung zu einer einseitigen, technisch-instrumentellen Verselbständigung durch kontraproduktive und unflexible Bürokratisierung und dementsprechender Standardisierung unter dem Ökonomieprimat verkommt, in der gerade das Ziel der Selbstbemächtigung und Selbstverantwortung bei den Nutzern nicht erreicht wird, sondern eine weitere Entmündigung und damit auch Klientelisierung die Folge ist. Insgesamt gilt es, einer rein methodisierenden Blickrichtung vorzubeugen und zu bedenken, unter welchen Strukturbedingungen (Substanzenillegalität, Kriminalisierung) Drogenhilfe heute stattfinden muss.

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Dr. phil. Wolfgang Schneider, Dipl. Päd. (Gesamtleitung)

Ralf Gerlach, Dipl. Päd. (stellvertretende Leitung)

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(Seite erstellt am 18.12.2003)