Sehr geehrte Frau Ministerin, sehr geehrte Damen und Herren, in Abweichung von meinem ursprünglichen Vortragsmanuskript möchte ich zwei Dinge vorwegschicken: 1. Zunächst einmal möchte ich der saarländischen Landesregierung, insbesondere auch Frau Ministerin Dr. Görner, persönlich und stellvertretend für viele meiner Kollegen und Kolleginnen, meinen Dank aussprechen für das Abstimmungsverhalten im Bundesrat am vergangenen Freitag (4.2.2000), wo ja leider aufgrund der ablehnenden Haltung anderer CDU-geführter Bundesländer und der Stimmenthaltung der Länder mit Großen Koalitionen die bereits im Bundestag verabschiedete Novelle zum Betäubungsmittelgesetz, die u.a. eine gesicherte rechtliche Basis von Drogenkonsumräumen vorsah, keine Mehrheit finden konnte. Hier ist eine große Chance zur Minimierung von Problemmassierungen für die Drogenabhängigen und für die belastete Öffentlichkeit leichtfertig vertan worden. So wird es dabei bleiben: Drogenabhängige werden weiterhin unter unhygienischen und stressreichen Bedingungen in der Öffentlichkeit konsumieren müssen, sich mit Hepatitis B und C Viren und evtl. auch mit HIV infizieren, gebrauchte Spritzen im öffentlichen Raum hinterlassen und unter Umständen mangels Notfallprophylaxe in der Öffentlichkeit versterben. Daher nochmals mein besonderer Dank an Frau Dr. Görner für ihren persönlichen Einsatz und ihre pragmatische Haltung gegenüber der Implementierung zusätzlicher Drogehilfeangebote zur Überlebenshilfe. 2. Auf der langen Bahnfahrt nach Saarbrücken hatte ich Gelegenheit, mir die Fachzeitschrift „Konturen“ (Nr. 6/99) durchzulesen. Hierin stieß ich auf einen Artikel von E. Löscher mit dem Titel „Ist Sucht doch heilbar?“ Berichtet wird hier u.a. über ein von einem Berliner Neurobiologen entwickeltes und zum Patent angemeldetes Verfahren zur Umprogrammierung des Suchtgedächtnisses, mit dem eine Heilung des für Süchtige charakteristischen Kontrollverlustes erzielt werden könne – zumindest bei Ratten soll das Verfahren funktionieren. Naja, wie dem auch sei, erste klinische Versuche mit Heroinabhängigen sollen Mitte des Jahres an der Würzburger Uni-Nervenklinik gestartet werden. Schauen Sie doch einmal hinein in „die Konturen“; die Lösung des Drogen- und Suchtproblems scheint greifbar nahe. Die „Wachstumsbranche“ Drogenhilfe und Drogenforschung geht wohl schlimmen Zeiten entgegen! Die Tage für stationäre Abstinenz- und ambulante Substitutionstherapien und für viele Kongresse und Tagungen scheinen jedenfalls gezählt zu sein! (vgl. Löscher 1999) Meine Damen und Herren, nach diesen Vorbemerkungen darf ich mich zunächst bei den Veranstaltern recht herzlich für die Einladung zur heutigen Fachtagung bedanken – ich muss nämlich gestehen, dass ich zuvor leider noch keine Gelegenheit hatte, Ihre Landeshauptstadt einmal kennenzulernen. Darüber hinaus möchte ich Ihnen ein weiteres Geständnis machen: Als ich vor nicht allzu langer Zeit gebeten wurde, an dieser Veranstaltung als Vortragender teilzunehmen, habe ich mit meiner Zusage sogar etwas gezögert. Denn: Ein Jubiläum ist ja normalerweise ein freudiges Ereignis, das es zu feiern gilt. Und so ist das 10-jährige Bestehen des Methadon-Programms im Saarland sicher ein würdiger Anlass für unser heutiges Beisammensein, zu dem ich eingeladen worden bin, um eine Bewertung der Methadonbehandlung unter Berücksichtigung des internationalen Diskussionsstandes vorzunehmen. Aufgrund der aktuellen Ereignisse und Entwicklungen zur Jahrtausendwende in Deutschland fühle ich mich allerdings verpflichtet, ausführlicher als vielleicht gewünscht, auch auf wesentliche Grundzüge der Methadonbehandlung und die bundesdeutsche Situation einzugehen. Erreichen uns bezüglich der Parteispenden- und Flugaffären tagtäglich neue Enthüllungen, so ist es für mich im Substitutionsbereich „Unglaubliches“, das es mir wahrlich nicht leicht macht, meine Emotionen, sprich Wut, zurückzuhalten und eine fachlich-sachliche Ebene nicht zu verlassen. Ob mir dies gelingt, kann ich nicht versprechen. Und dies genau war der Grund für mein Zögern. Was seit dem Regierungswechsel in Bonn im Jahre 1998 politisch gewollt ist und angestrebt wird, nämlich eine Verbesserung der Substitution in qualitativer und finanzieller Hinsicht und das Vorhalten einer flächendeckenden Versorgungsstruktur, wird kontinuierlich durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), regionale KVen und Kostenträger unterwandert und konterkariert. Hierauf komme ich etwas später noch ausführlich zu sprechen. Wie Sie sicher wissen, ist keine andere Behandlungsform bei Heroinabhängigkeit weltweit so umfassend evaluiert worden wie die Substitutionstherapie mit Methadon. Es wurden tausende von Aufsätzen in Fachzeitschriften und Büchern zum Thema publiziert. Mittlerweile liegen über 500 „methodisch saubere“ Studien (inklusive einer Reihe von Meta-Analysen) zu unterschiedlichen Aspekten der Methadonbehandlung vor, die alle unzweifelhaft die Effizienz dieser Therapieform belegen (Übersichtsarbeiten etwa: Touzeau/Jacquot 1997; Ward/ Mattick/Hall 1992 u. 1998; Strain/Stitzer 1999). Wie mir mitgeteilt wurde, ist zur heutigen Veranstaltung ein Tagungsband geplant. Sie werden dort alle wichtigen Literaturhinweise und Tabellen wiederfinden. Kaum eine der mittlerweile unzähligen nationalen und internationalen Tagungen und Konferenzen zur „Drogenproblematik“ vergeht, ohne daß das Thema Methadonsubstitution abgehandelt wird. Das gleiche gilt für hunderte von Arbeitsgruppen, Qualitätszirkeln etc. hierzulande und tausenden weltweit. Was soll ich Ihnen also noch vortragen? Es dürfte doch zu erwarten sein, dass der wissenschaftliche Kenntnisstand bekannt ist. Ich frage aber dennoch einmal ganz „bösartig provokativ“: Wen außer einigen wenigen Auserwählten der „scientific community“ interessiert eigentlich der Forschungs- und Wissensstand wirklich? Was hat es für einen Sinn, Ihnen hier zum (wahrscheinlich) zig wiederholten Male darüber zu berichten? Meine Antwort hierauf ist immer die gleiche: Weil es leider immer noch zu viele „Unwissende“ gibt, gerade in Positionen an Schaltstellen, die über Leben und Tod entscheiden, dies sowohl im Bereich von Politik, Kostenträgerschaft und praktischer Drogen(sozial)arbeit, ja selbst unter den substituierenden Ärzten. Sinn und Zweck, aber auch die Grenzen und Risiken der Methadonbehandlung sind nach wie vor professionsübergreifend von vielen nicht hinreichend verstanden worden, und Forschungserkenntnisse finden keine praktische Umsetzung. Bevor ich jedoch zu einigen Anmerkungen zur Eignung und Effektivität von Methadon komme, lassen Sie uns zunächst eine kurze internationale und nationale Informationsreise unternehmen: Die Methadontherapie hat sich international fest als medizinisches Behandlungsangebot etabliert – sie ist heute nicht nur die am umfassendsten evaluierte, sondern auch die mit Abstand weltweit am häufigsten angewandte Therapieform bei Heroinabhängigkeit. Sie gehört mittlerweile – in unterschiedlicher Größenordnung – in über 40 Staaten der Erde zum Angebotskatalog der Drogenhilfe: Andorra, Australien, Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Fidschi, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Iran, Irland, Israel, Italien, Kanada, Kroatien, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malta, Mazedonien, Nepal, Neuseeland, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, San Marino, Schweden, Schweiz, Slowakische Republik, Slowenien, Spanien,Thailand,Tschechische Republik, Volksrepublik China (ausschließlich Hongkong). Unklar ist z. Z. die Situation in Argentinien, Bolivien, Costa Rica, Island, Jamaika und Jugoslawien (Serbien). Die Erprobung der Methadonbehandlung wird in Brasilien, Mexiko und der Türkei diskutiert. „Weiße Flecken“ auf der europäischen Substitutionslandkarte sind lediglich noch Albanien, Moldawien, Rumänien, Russland, Ukraine, Weißrußland und die Türkei (über Bosnien-Herzegowina liegen z.Z. keine Informationen vor). Keine Methadonbehandlung gibt es leider auch in einigen Staaten mit großen Populationen an Heroinabhängigen, wie z.B. Malaysia (geschätzte Abhängigenzahl 500.000), Indien, Pakistan oder Indonesien. Aber selbst in den USA ist die Methadonbehandlung in 8 Bundesstaaten verboten! (vgl. Doherty 1999) Bezüglich der Anzahl der Methadonpatienten in den einzelnen Ländern liegen uns aufgrund einer aktuellen INDRO-Recherche folgende Daten vor: Anzahl Methadonpatienten weltweit
*Angaben basierend auf den Ergebnissen einer INDRO-Recherche im Januar/Februar 2000. Die Anzahl der Methadonpatienten in den nicht in der Tabelle erfassten Staaten ist als sehr gering einzustufen, so dass die dort dokumentierten Zahlen Schätzungen von weltweit 450.000 bis 500.000 Patienten in Substitutionsbehandlung mit Methadon als realistisch erscheinen lassen. In den EU-Mitgliedsstaaten sind es zwischen 200.000 und 230.000, in Gesamteuropa bis zu maximal 250.000, in Deutschland zwischen 40.000 und 45.000 Patienten. Gerne hätte ich Ihnen in meiner Übersicht auch Angaben zur aktuellen Zahl der Heroinabhängigen in den einzelnen Staaten mit Methadonbehandlung präsentiert – es wäre sicher interessant zu erfahren, wie hoch oder niedrig der prozentuale Anteil der Methadonpatienten an der Gesamtzahl der Heroinabhängigen in einem Staat ist. Leider lässt dies die Datenlage nicht zu: Es gibt unterschiedliche Schätzverfahren, die zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen. So wird z.B. in Portugal die Anzahl der Heroinabhängigen auf 50.000 bis 100.000 geschätzt, in Deutschland auf 100.000 bis nahezu 300.000. Der unter Berücksichtigung mehrerer Schätzmethoden entstehende epidemiologische ‚Zahlensalat’ ist unbrauchbar – sich einfach der Mitte zwischen höchster und niedrigster Schätzung zu bedienen, ist zwar praktisch, bringt uns aber nicht weiter. Gelegentlich kann ich mich des Eindruckes nicht erwehren, dass einige „Forschende“ so verfahren. Die Faszination der (großen) Zahlen spielt uns, wie so häufig, auch hier einen Streich: Aufgrund der geschilderten Sachlage ist es (leider) wenig ergiebig zu behaupten, in Deutschland befänden sich „zwischen 30% und 50% der Heroinabhängigen“ (Geschäftsstelle der Beauftragten der Bundesregierung für Drogenfragen im Bundesministerium für Gesundheit 2000, 4) in einer Methadonbehandlung. Da nicht einmal lokale Szenegrößen bekannt sind, geschweige denn die Gesamtpopulation der Heroinabhängigen in Deutschland, geht der Aussagewert gegen null. Ich verzichte hier also auf solche „Schätzungen“, wohlwissend, dass gerade auch politische Entscheidungsträger und Kostenträger für ihre Ziele und Planungen nun einmal Zahlen benötigen. In bezug auf die Patientenzahlen ist es wichtig, auch einen Blick auf das Verhältnis von Methadon-Erhaltungstherapie versus Detoxifikationstherapie in den einzelnen Ländern zu richten. Wir wollen dies am Beispiel der EU-Mitgliedsstaaten tun: Balance between methadone maintenance and detoxification treatments
(Source: Reviewing Current Practice in Drug Substitution Treatment in Europe. EMCDDA 1999)
Während in Frankreich, Irland, Portugal und Schweden Methadon hauptsächlich als Dauermedikation zum Einsatz kommt, gelangt es in Italien und Griechenland (leider noch immer) überwiegend im Rahmen von Detoxifikationsbehandlungen zur Anwendung. In Deutschland liegt der Anteil der Erhaltungsbehandlungen bei ca. 65-70%. Zwingend vorgeschrieben ist die Detoxifikationsbehandlung allerdings in keinem der EU-Mitgliedsstaaten. Die nachfolgende Tabelle gibt uns Auskunft über die Zeitpunkte, zu denen in den EU-Mitgliedsstaaten die Substitutionstherapie gesetzlich abgesichert wurde:
Rechtliche Klarstellung/Zulassung
(Quelle: Reviewing Current Practice in Drug Substitution Treatment in Europe. EMCDDA 1999)
Die Angaben des vorliegenden EU-Reports sind aber mit einiger Vorsicht zu betrachten. So war z.B. in der Bundesrepublik die Substitutionsbehandlung bereits vor 1992 möglich, allerdings nur in eng gefassten Ausnahmefällen (vgl. Gerlach/Schneider 1994). Seit der rechtlichen Klarstellung der Substitutionstherapie in den einzelnen EU-Staaten, wie übrigens auch in außereuropäischen Ländern, ist die dortige Zahl der Methadonpatienten rapide angestiegen. Nehmen wir als Beispielland einmal Dänemark: (Quelle: Peter Ege, Socialoverlæge Socialdirektoratet, København) Aber auch der Anstieg der nach den NUB-Richtlinien behandelten Patienten in Deutschland von 1992 (ca. 1.000) bis Ende 1998 (ca.33.000) verdeutlicht diese Entwicklung: Growth of the number of methadone patients in Statutory
¹ Numbers relate to the old states (Laender) Inklusive Selbstzahlern und über Sozialämter gemäß BSHG finanzierte Methadonbehandlungen kann gegenwärtig von einer Gesamtzahl von 40.000 – 45.000 Patienten in Deutschland ausgegangen werden (schätzungsweise weitere 10.000 – 15.000 Patienten werden weiterhin mit DHC/Codein behandelt). Darüber hinaus spiegeln auch die durch Apotheken georderten Mengen an Methadon/Levomethadon den Patientenanstieg wider:
Quantities of racemic methadone and levomethadone
* Approved as a Schedule 3 substance on February 1, 1994.
Hier darf der Hinweis nicht fehlen, dass aufgrund von Ordermengen (Kiloangaben) nicht notwendigerweise auf präzise Patientenzahlen geschlossen werden kann, da auch eine Schätzung der mit Methadon behandelten Schmerzpatienten sowie eine Schätzung einer Durchschnittsdosierung der Patienten erfolgen muss. Da in vielen Staaten keine zentralen Patienten-Melderegister existieren, wird die Patientenzahl dennoch häufig auch unter Zuhilfenahme der Apothekenordermengen geschätzt (etwa Belgien). Nach KV-Regionen getrennt stellen sich die bundesdeutschen Patientenzahlen wie folgt dar:
(Quelle: Zerdick 2000) Wir sehen, dass zum Stichtag 31.12.1998 im Saarland 219 Methadonpatienten im Rahmen der vertragsärztlichen Regelversorgung behandelt wurden – bis zu Beginn dieses Jahres hat sich diese Zahl auf ca. 280 erhöht. Die Tabelle verdeutlicht u.a. auch, dass die Methadonbehandlung in den sog. Neuen Bundesländern noch eine untergeordnete Rolle spielt. In Anlehnung an Zerdick (1999) hatten zum Stichtag 31.12.1996 ca. 3.000 Ärzte die KV-Genehmigung zur Substitution. Zum Stichtag 31.12.1998 waren es ca. 3.700 Ärzte bundesweit, von denen nach eigener Schätzung ca. 2.500 auch tatsächlich kassenfinanzierte Substitutionsbehandlungen durchführten. In bezug auf die Patienzahl pro Arztpraxis liegen uns folgende Daten aus 1996 vor:
Proportion of doctors‘ offices with regard to the number of
(Source: Weber, I./Pfeiffer, A./Posnanski, S.: Bedingungen vertragsärztlicher Ersatzmittelbehandlung Aus der Tabelle geht hervor, dass 64,4% der Arztpraxen weniger als 10 Patienten betreuten bzw. 80,3% weniger als 15 Patienten. Nur 14,7% hatten mehr als 20 Patienten. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangten Gerlach und Caplehorn (1999) im Rahmen einer Ärztebefragung in der Region Westfalen-Lippe. Ob bezüglich der Patientenzahlen pro Arztpraxis seitdem gravierende Änderungen eingetreten sind, mag ich leider nicht zu beurteilen. Was allerdings die Zahl der Ärzte mit NUB-Genehmigung und die Zahl derer, die davon tatsächlich auch kassenfinanzierte Methadonbehandlungen durchführen, anbelangt, so bin ich wirklich äußerst gespannt auf die Auswirkungen der neuen AUBs und gekürzter ärztlicher Vergütungen gemäß EBM. Einiges spricht dafür, dass die Zahl der Behandler abnimmt. Ergebnisse hierzu werden uns voraussichtlich ab Mitte dieses Jahres zur Verfügung stehen. Beenden wir nun unsere kleine folienbegleitete Informationsreise und widmen uns – in Anlehnung an Gerlach (1999) der Eignung und Effektivität von Methadon: Methadon ist ein synthetisches Produkt. Es zählt wie Heroin, Morphin oder Codein zu der Substanzgruppe der Opioide. Zwischen allen Opioiden besteht Kreuztoleranz, d.h. Heroingebrauchende entwickeln eine Toleranz gegenüber allen Opioiden (Opioid-Agonisten) und nicht gegenüber nur einer spezifischen Substanz (wie Heroin). Hierin liegt die therapeutische Anwendungsmöglichkeit von Methadon begründet (vgl. Newman 1997a). Bei adäquater Dosierung und oraler Applikation entfaltet Methadon, etwa im Gegensatz zu Heroin, keine euphorisierende Eigenwirkung. Die lange orale Wirksamkeit des Methadons von 24 bis 36 Stunden bewirkt, dass der einen kompulsiven (zwanghaften) Heroingebrauch begleitende Vier-Stunden-Zyklus von Euphorie und Entzugserscheinungen durchbrochen wird. Eine einmalige tägliche Einnahme reicht in der Regel aus (mögliche Ausnahmen sind etwa ‚fast metabolisers‘), um den ‚Heroinhunger‘ durch das Besetzen der Opioidrezeptoren zu stillen. Das Auftreten von Entzugssymptomen wird verhindert, die Wirkung zusätzlich konsumierten Heroins blockiert. Das ist – in aller gebotenen Kürze – die pharmakologische Basis der Methadontherapie. Methadon ist ein Medikament und keine Ersatzdroge für Heroin, da seine Wirkung bei oraler Anwendung die des Heroins u.a. aufgrund fehlender Euphorieerzeugung nicht ersetzen kann. Da Methadon bei oraler Applikation seine Wirkung entfaltet, kann es entscheidend dazu beitragen, die bei intravenösem Heroingebrauch u.a. durch unreines Straßenheroin, unsteriles Spritzbesteck und „needle-sharing“ sowie durch kriminalisierte Konsumverhältnisse bedingten gesundheitlichen Risiken zu vermeiden bzw. zu reduzieren. Es beugt somit einer Vielzahl möglicher Folge~ und Begleiterkrankungen wie HIV~ und Hepatitisinfektionen, abszedierende Pneumonien, Tuberkulose, Endocarditis, Hautabszesse, Thrombosen, Zahnverfall oder Unterernährung vor. Die wichtigsten, mit Methadon zu erzielenden Behandlungs-Resultate seien nachfolgend kursorisch zusammengefasst: 1. eine dramatische Senkung des Mortalitätsrisikos – die Überlebenschance von Methadonpatienten steigt gegenüber unbehandelten, kompulsiven Heroingebrauchern auf das Drei~ bis Fünffache; 2. eine deutliche Verbesserung und Stabilisierung des allgemeinen Gesundheitsstatus – auch bei HIV~ und Hepatitis-infizierten Patienten; 3. eine drastische Verminderung des HIV~ und Hepatitis-B~ und ~C-Infektionsrisikos bedingt durch einen linearen Rückgang i.v. (intravenösen) Drogengebrauchs; 4. zunächst eine drastische Reduzierung, später eine Beendigung des Parallelgebrauchs illegalisierter Drogen oder anderer psychotroper Substanzen (linearer Rückgang mit zunehmender Behandlungsdauer); 5. eine hohe Reduzierung der Prostitution und krimineller Aktivitäten und somit des Risikos der Inhaftierung; 6. eine Distanzierung von der Drogenszene und 7. eine soziale und – je nach Arbeitsmarktsituation – auch berufliche (Re-) Integration. Diese positiven Effekte werden auch durch alle bisherigen bundesdeutschen Methadonstudien gestützt (zusammengefasst in: Poehlke et al. 1997). Der Nutzen für die Patienten, aber auch für die Gesamtgesellschaft, ist evident. Allerdings: Er ist im Einzelfall häufig nicht kurzfristig zu erzielen. Eine wesentliche Voraussetzung ist eine langfristige Behandlungsteilnahme, denn – und das gilt für alle Therapieformen – die Wahrscheinlichkeit des Behandlungserfolges steigt mit der Therapiedauer (vgl. etwa: Allison/Hubbard 1985). Ein Manko besteht bei Studien zur Effektivität von Methadonbehandlungen genauso wie bei der Evaluation von Abstinenztherapien, nämlich dass in der Regel nur diejenigen Patienten/Klienten in eine Untersuchung eingeschlossen sind, die auch tatsächlich an der Behandlung teilnehmen, Abbrecher also nicht berücksichtigt werden. Allerdings möchte ich ausdrücklich betonen, dass die Haltequoten in Methadonprogrammen (die Quoten derer, die in Behandlung bleiben) wesentlich höher sind als in Abstinenztherapien: Sie liegen z.B. im wissenschaftlichen Erprobungsprogramm von Nordrhein-Westfalen bei 87 Prozent nach einem Jahr, 66 Prozent nach drei Jahren, 53 Prozent nach fünf Jahren und 48 Prozent nach sieben Jahren (Ministerium für Gesundheit, Arbeit und Soziales 1998). Aus Hamburg wird eine Haltequote von 84,1 Prozent nach drei Jahren, 77 Prozent nach 4 Jahren und 71,2 Prozent nach fünf Jahren berichtet (vgl. Raschke/Verthein/Kalke 1996). Die hohe Haltekraft ist ein eindeutiger Beleg für die Akzeptanz und Adäquanz der Behandlungsmethode „Methadonsubstitution“ unter den bzw. für die Patienten. Internationale Erfahrungen zeigen, dass nur 5-20 Prozent der Methadonpatienten länger als zehn Jahre in Behandlung bleiben (Bertschy 1995). Die Retentionsraten (Haltequoten) lassen sich erwiesenermaßen durch adäquat hohe Methadondosierungen, die i.d.R. zwischen 80 und 120mg/d des Racemats liegen, erhöhen (vgl. Caplehorn/Bell 1991; siehe auch: Zickler 1999). Trotz dieser Erkenntnis werden Methadonpatienten häufig drastisch unterdosiert. Aktuelle Studien zeigen darüber hinaus, dass optimale Ergebnisse der Methadonbehandlung, auch in bezug auf die Minimierung des Parallelgebrauchs von Drogen (Heroin, Kokain, Benzodiazepine, Alkohol), häufig erst unter wesentlich höheren Dosierungsmengen erreichbar sind (etwa: Maxwell/Shinderman 1999). Die Erhaltungsbehandlung mit Methadon wurde bereits 1964 von Dole und Nyswander eingeführt. Sie bedeutet eine eindeutige Abkehr vom (Primär-)Ziel Abstinenz. Mit dieser Therapieform wird das traditionelle Abstinenzdogma in Medizin und Drogenhilfe durchbrochen, und das Erreichen völliger Abstinenz (inkl. des Medikamentes Methadon) stellt – im Sinne der ‚Erfinder‘ – nicht mehr die alleinige akzeptable Zielperspektive dar. Dole und Nyswander definierten als wesentliche Erfolgsparameter der Methadon-Erhaltungsbehandlung physische Rehabilitation (gesundheitliche Stabilisierung), soziale/berufliche (Re-) Integration und Stabilisierung, Einstellen krimineller Aktivitäten (Beschaffungskriminalität) und Abkehr vom illegalen Drogenmarkt (vgl. Dole/Nyswander 1965). Und nun folgt etwas ganz Entscheidendes: Unter Heilung verstanden Dole und Nyswander primär nicht das Erreichen eines Abstinenzstatus, sondern die oben als Erfolgsparameter aufgelisteten Ziele. Die Methadon-Erhaltungsbehandlung bedeutet folglich eine eindeutige Abkehr vom Abstinenzparadigma, d.h. Methadonbehandlungen und stationäre Abstinenztherapien folgen völlig unterschiedlichen Zielvorgaben. In diesem Kontext sei angemerkt, dass auch stationäre Langzeittherapien das Abstinenzziel, hier ja sogar als Primärziel definiert, nur bei einem geringen Teil ihres Klientels erreichen. Die Erfahrungen der letzten 30 Jahre abstinenzfixierter bundesdeutscher Drogenhilfe haben klar gezeigt, dass ausschließlich abstinenzorientierte Konzepte und Strategien in Drogenpolitik und Drogenhilfepraxis nur für eine kleine Teilgruppe der Drogenabhängigen eine adäquate und akzeptable Ausstiegshilfe in Richtung Opiatabstinenz darstellen. Abstinenzraten bei 5-10-Jahreskatamnesen sind bzgl. stationärer Abstinenztherapie und Substitutionsbehandlungen ähnlich (vgl. etwa: Finkbeiner/Gastpar 1997). Um welche Therapieform es sich aber auch handelt, man kann allgemein formulieren: Es gibt keine „Heilungsgarantie“ in Richtung Abstinenz. Deshalb kann und darf man einer Abstinenztherapie keinen höheren Stellenwert beimessen als Substitutionstherapien. Insofern ist das Drängen auf eine drogenfreie Therapie in den AUB-Richtlinien nicht angemessen und die Ultima-Ratio-Klausel des § 13 (1) BtMG wissenschaftlich nicht haltbar. Wenn Sie mir schon nicht glauben wollen, dann vielleicht dem Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin, Dr. Rainer Ullmann, den ich in diesem Kontext wie folgt zitiere: „Eine dauerhafte Abstinenz nach Durchführung einer stationären Abstinenztherapie ist selten – und es ist bisher nicht gezeigt worden, dass bei vergleichbar schweren Verläufen die Ergebnisse besser sind als bei einer nichtbehandelten Gruppe, in der es ja auch „Selbstheiler“ gibt. Dagegen sind Todesfälle und Infektionen mit HIV und Hepatitis nach Entzug oder (besonders abgebrochener) Entwöhnungsbehandlung nicht selten. Trotz meiner jahrelangen Recherchen habe ich keine Publikation gefunden, die die Heilung durch Abstinenztherapien im Vergleich zur Substitutionsbehandlung oder keiner Behandlung in einer 5 – 10-Jahreskatamnese beweist. Da ich so eine Publikation gern in meiner Sammlung hätte, biete ich 1000,- DM demjenigen, der mir eine solche Publikation nennt“ (Ullmann 2000, 6). Dieser eindeutigen Aussage ist nichts hinzuzufügen, außer, dass Herr Dr. Ullmann heute hier anwesend ist. Interessenten können sich direkt an ihn wenden, aber ich wette (als bescheiden verdienender Diplompädagoge allerdings nur um 100,- DM), dass er auch heute nicht seine 1000,- DM loswerden wird! Vielleicht doch noch eines: Wenn die stationären Therapieeinrichtungen einer ebenso gründlichen Kontrolle und einem ähnlich großen Erfolgsdruck wie substituierende Ärzte unterliegen und unter ständiger Strafandrohung stehen würden, hätten sicher die meisten schon längst schließen müssen! Mittlerweile ist umfangreich dokumentiert, dass zeitlich befristete Methadonbehandlungen in aller Regel zum Rückfall in den Heroingebrauch und zu erneuter Instabilität und Verelendung der Patienten führen. Andererseits ist durchweg und überall auf der Welt gezeigt worden, dass ein günstiges Ergebnis während der Behandlung mit Methadon über viele Jahre, ja selbst über Jahrzehnte, konstant bleibt und dass die Dauermedikation mit Methadon keinerlei gesundheitliche Schädigungen bewirkt (vgl. etwa: Novick et al. 1993; Newman 1997b; Kreek 1996). Also: Die Substitutionsbehandlung mit Methadon muss in der Regel als Langzeitbehandlung eingesetzt werden – ganz im Sinne der „Erfinder“ als Erhaltungsbehandlung. Abstinenz ist als Idealziel zwar annehmbar – auch im Rahmen der Methadonsubstitution. Wer jedoch das Abstinenzziel als Maxime allen ärztlichen, psychologischen, sozialpädagogischen etc. Handelns begreift, das zudem in der Regel völlig undifferenziert für alle Drogenabhängigen gelten soll, ist realitätsfern angesichts der Erfahrungen. Zudem stellt das Erreichen eines Abstinenzstatus – unabhängig von spezifischen therapeutischen oder privaten Settings (Selbstaussteiger) – oft ein nur langfristig zu realisierendes Ziel dar, wobei sich Abstinenz bei manchen Drogengebrauchern möglicherweise nie stabil einstellen wird (vgl. Weber/Schneider 1997). Ein übergeordnetes Abstinenzziel ist im übrigen auch in einer Untersuchung von Gerlach und Caplehorn (1999) dokumentiert, in deren Einstellungsstudie 67% der befragten Ärzte Abstinenz als Primärziel der Behandlung angaben. Es zeigte sich eine eindeutige Dominanz einer Abstinenzorientierung in der Behandlung gegenüber präventiv-medizinischen Zielen (etwa HIV und Hepatitiden) und der Überlebenssicherung der Patienten. Unabhängig davon, ob Patienten während einer Methadonbehandlung nur moderate Fortschritte machen oder sich glänzend stabilisiert und integriert haben, bei vorrangiger Abstinenzorientierung von Gesetzgeber, Ärzten, Therapeuten und psychosozialen Betreuern schwebt immer auch das Damoklesschwert der fremdbestimmten Entgiftung über den Köpfen der Methadonpatienten. Damit kann eine enorme psychische Belastung für die Patienten/Klienten entstehen, besteht doch die Gefahr, dass sie in die Position gedrängt werden, entweder abstinent oder als Therapieversager abgestempelt zu werden. Diese Menschen wären aber im Rahmen einer qualifizierten ärztlichen Substitutionsbehandlung und auf Freiwilligkeit basierender, bedürfnis~ und entwicklungsorientierter Angebote psychosozialer Begleitung in der Lage, ein gesundheitlich stabilisiertes und sozial integriertes Leben außerhalb der kriminalisierten Drogenszene zu führen. Mit Zwangsmaßnahmen haben wir hinreichend negative Erfahrungen gemacht (vgl. a. Seivewright 2000). Ich betone ausdrücklich, dass ich an dieser Stelle nicht von psychiatrischer Komorbidität ablenken möchte. Im übrigen kann Methadon meist nach fünf bis zehn Jahren abgesetzt werden (Erreichen eines Abstinenzstatus, Bertschy 1995). Hier soll nicht der Eindruck erweckt werden, Methadon sei ein Wundermittel. Denn wie für alle Therapieformen gilt auch für die Methadonbehandlung, dass nicht alle Patienten positive Verhaltensänderungen und/oder Verbesserungen ihrer Lebenssituation erzielen. Dies kann – etwa in Abhängigkeit von jeweiligen Organisationsstrukturen, differierender Behandlungs-/Dosierungs- philosophien oder unterschiedlicher Behandlungsdauer – bis zu 30 Prozent der Patienten betreffen. Zumindest denjenigen, für die weder Abstinenz~ noch Methadontherapien eine adäquate Hilfe darstellen, sollte endlich die Möglichkeit der kontrollierten Heroinbehandlung zur Überlebenssicherung und sozialen Reintegration eröffnet werden. Erste, leider viel zu hochschwellig konzipierte und wissenschaftlich überfrachtete Modellversuche beginnen ja in Deutschland voraussichtlich noch in diesem Jahr (vgl. Hölzmann 2000). Darüber hinaus ist sicherlich ein Teil der Patienten mit anderen Substitutionsmitteln, wie z.B. LAAM oder Buprenorphin, gut behandelbar. Meine These lautet, in Anlehnung an Wolfgang Schneider (2000) – auch wenn ich mir den Zorn vieler Zuhörer und Zuhörerinnen zuziehen mag: Solange nicht die Ziel- bzw. Heilungsorientierung absolute Abstinenz in Frage gestellt und realistische Zielperspektiven Praxiseingang finden, sind alle finanziellen Anstrengungen und Aufwendungen für alle sog. Expertenhearings und –tagungen sowie Evaluationsprogramme ‚für die Katz’. Sie sichern nur Pfründe, Forschungsgelder, Drogenkongresse und Karriereplanungen. Wechseln wir nun das Thema und nähern uns langsam den einleitend angedeuteten Entwicklungen, die MICH wütend machen! Aus Zeitgründen werde ich nur einige wenige herauspicken können. Zunächst einige Vorbemerkungen: Gesetzliche Grundlagen der Substitutionsbehandlung sind im wesentlichen das BtMG und die BtMVV. Darüber hinaus gibt es Leitlinien der Bundesärztekammer. Die Kostenübernahme im Rahmen vertragsärztlicher Versorgung regeln die AUB-Richtlinien und bei Nichtversicherten die Richtlinien kommunaler Sozialhilfeträger auf der Grundlage des Bundessozialhilfegesetzes – die ärztliche Vergütung erfolgt häufig über EBM. Findet sich kein Leistungsträger oder wird vielleicht auch gar keiner gewünscht, muss die Behandlung selbst finanziert werden, wobei die Abrechnung gemäß GOÄ über analoge Ziffern erfolgen sollte. Im gesamten Gesundheitssektor erleben wir z.Z. einschneidende Veränderungen. Ich nenne hier nur einmal das Stichwort ‚Gesundheitsreform 2000‘. Frau Gesundheitsministerin Fischer sagt auf den BMG-Internetseiten (Stand: 6.2.2000) zur Reform u.a.: „Der Anspruch auf eine qualitativ hochwertige Versorgung wird gesichert und die Qualität der Versorgung verbessert“. „Die Qualitätssicherung wird … durchgängiges Gestaltungsprinzip“. „Ziel der Qualitätssicherung im Gesundheitswesen ist immer, die bestmögliche Versorgung der Patienten nach dem Stand der Wissenschaft zu gewährleisten“. Diese Ansprüche an die Qualitätssicherung müssen natürlich auch für die vertragsärztliche Substitutionsbehandlung gelten. Wir werden gleich sehen, warum ich diese Zitate eingebracht habe. Meine Aufgabe hier ist es nicht, die Gesundheitsreform zu bewerten. Ich muss allerdings eingestehen, dass ich schon ins Grübeln komme, wenn mir mein jahrelanger Hausarzt mitteilt, er könne mich demnächst nur noch „suboptimal“ versorgen. Um zu den AUB-Richtlinien und deren fatale Auswirkungen auf die bundesdeutsche Substitutionslandschaft gelangen zu können, sollten wir einige kurze Umwege über das Sozialgesetzbuch V zur Gesetzlichen Krankenversicherung und die BtMVV einschlagen: Im Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) – Gesetzliche Krankenversicherung heißt es u.a.: § 27 Krankenbehandlung (1) u.a.: „Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern.“ § 28 Ärztliche Behandlung (1) u.a.: „Die ärztliche Behandlung umfasst die Tätigkeit des Arztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist.“ § 70 Qualität, Humanität und Wirtschaftlichkeit (1) Die Krankenkassen und die Leistungserbringer haben eine bedarfsgerechte und gleichmäßige, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Versorgung der Versicherten zu gewährleisten. Die Versorgung der Versicherten muss ausreichend und zweckmäßig sein, darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten und muss in der fachlich gebotenen Qualität sowie wirtschaftlich erbracht werden. (2) Die Krankenkassen und die Leistungserbringer haben durch geeignete Maßnahmen auf eine humane Krankenbehandlung ihrer Versicherten hinzuwirken. § 72 Sicherstellung der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung (2) Die vertragsärztliche Versorgung ist im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Richtlinien der Bundesausschüsse durch schriftliche Verträge der Kassenärztlichen Vereinigungen mit den Verbänden der Krankenkassen so zu regeln, dass eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse gewährleistet ist und die ärztlichen Leistungen angemessen vergütet werden. Nun bin ich zwar kein Rechtswissenschaftler, aber die hier aufgelisteten Paragraphen verdeutlichen, dass vertragsärztliche Krankenbehandlung – neben der Tatsache, dass sie nicht nur zur Heilung, sondern auch zur Linderung von Beschwerden und zur Verhütung der Krankheitsverschlimmerung zu dienen hat – trotz Wirtschaftlichkeitsgebotes nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Kenntnis und in fachlich gebotener Qualität durchzuführen ist. Wir sehen also, auch im SGB V findet sich das Qualitätsgebot und die Orientierung am aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand. Auch in der BtMVV heißt es in § 5, Abs. 2 u.a.: „Im übrigen sind die anerkannten Regeln nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft zu beachten. Die Bundesärztekammer kann Empfehlungen für das Verschreiben von Substitutionsmitteln auf Grundlage des Standes der medizinischen Wissenschaft abgeben“. Eine solche Empfehlung sind etwa die Leitlinien der BÄK vom 15. November 1996. Diese sollten sicher in einigen Passagen aktualisiert werden, aber im Vergleich zu den AUB-Richtlinien sind sie mehr als fortschrittlich. Es tut mir leid, aber ich muss an dieser Stelle nochmals eine Zwischenbemerkung einfügen: Einer der wenigen Punkte, mit denen ich in den aktuellen NUB-Richtlinien einverstanden bin, ist § 11, in dem gemäß dem Beschluss der BÄK vom 11.9.1998 eine fachliche Befähigung des substituierenden Arztes in Form des Fachkundenachweises „Suchtmedizinische Grundversorgung“ gefordert wird. Ich sage Ihnen auch kurz, warum: 1. Im Rahmen der Studie von Gerlach und Caplehorn (1999) zu den Einstellungen und Vorurteilen substituierender Ärzte in der Region Westfalen-Lippe offenbarten sich eine Reihe von gravierenden Wissensdefiziten auf Seiten der befragten Ärzte. 2. Sie glauben ja gar nicht, was mir gelegentlich bei Arztkontakten im Rahmen der Auslandsreisevermittlung von Methadonpatienten an Unwissen zu Ohren kommt! Aus Zeitgründen kann ich leider nicht näher hierauf eingehen. Ich stehe Interessierten aber gern nach Beendigung meines Vortrages als Ansprechpartner zur Verfügung! Richtig wäre gewesen, und ich meine das durchaus ernst, wenn der für die Erarbeitung der neuen NUB-Richtlinien verantwortliche Arbeitsausschuss „Ärztliche Behandlung“ der KBV vor Abfassung dieser Richtlinien an einem solchen 50-stündigem Fachkundekurs teilgenommen hätte. Dann wären, falls überhaupt KBV-Richtlinien, zumindest solche entstanden, die sich tatsächlich am aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstand orientieren. Ich empfehle den KBV-Experten hiermit dringend, die Kursteilnahme bis zur nächsten AUB-Überarbeitung nachzuholen. Ich unterstelle einmal die Richtigkeit der Aussage, dass die Ausschussmitglieder neben 35 Sachverständigenstellungnahmen „über 200 Literaturfundstellen“ in ihre Beratungen einbezogen haben (KBV-Rundschreiben vom 11.12.98). Mich würde brennend interessieren, welche das waren. Ich habe damals die Stellungnahme der DGDS (heute DGS) gelesen, die mit einer annähernd gleich großen Anzahl an literarischen Funden „angetreten“ ist – wovon in den Richtlinien allerdings keine berücksichtigt worden zu sein scheinen. Sehen Sie mal, es gibt ja auch unzählige Facharbeiten zur Evolutionstheorie. Wenn man sich da die „richtigen“ herauspickt, kann es dazu führen, wie in einigen US-Bundesstaaten geschehen, dass die Evolution in der Schule nicht mehr gelehrt werden darf. Vielleicht geht es ja weniger um Wissenschaft als um vorurteilsbehafteten Glauben? – Und natürlich um Kostenersparnis. Mittlerweile gibt es im übrigen auch eine dreibändige Publikation mit dem Titel „Suchtmedizinische Grundversorgung“, die sich am Weiterbildungs-Curriculum der BÄK orientiert (Poehlke u.a. 2000). Warum habe ich die Textpassagen mit Hinweisen auf den wissenschaftlichen Kenntnisstand so ausführlich präsentiert? Ganz einfach, weil sich die AUB-Richtlinien nicht daran orientieren, und diese betreffen immerhin 2.500 Ärzte und über 30.000 Methadon- und viele DHC/Codeinpatienten. Sie ignorieren im übrigen auch die Leitlinien der Bundesärztekammer. Nehmen wir zwei Beispiele: 1. Indikationen Eine sicher diagnostizierte Opioidabhängigkeit wird allein nicht als medizinische Indikation akzeptiert (etwa im Gegensatz zu den BÄK-Leitlinien, zur BtMVV, Richtlinien in Staaten wie z.B. USA, Australien, Schweden, Dänemark, Belgien, Luxemburg, Italien, Spanien, Großbritannien, Niederlande – Sie sehen, Opioidabhängigkeit als Indikation ohne weitere Begleiterkrankung ist internationaler Standard!). Stattdessen existiert ein umfassender Kriterienkatalog (§ 3), der im wesentlichen schwere bis schwerste Begleiterkrankungen als mögliche Indikationen auflistet. Des weiteren sind die mit diesen Indikationen verbundenen zeitlichen Befristungen fachlich-medizinisch nicht nachvollziehbar. Wie bereits erwähnt, sind Methadonbehandlungen i.d.R. langfristig anzusetzen. Ich frage einfach einmal ganz salopp: Wird der behandelnde, fachkundlich weitergebildete Arzt oder die behandelnde Ärztin eigentlich als zu „blöd“ angesehen, um das selbst entscheiden zu können?! Was ist dies für ein Einschnitt in die ärztliche Therapie- und Entscheidungsfreiheit! § 3a regelt über die Indikationskriterien des § 3 hinaus die weitergehende Zulässigkeit einer Substitutionsbehandlung: Diese ist „auch dann zulässig, wenn eine drogenfreie Therapie aus medizinischen Gründen nicht durchgeführt werden kann“. Darüber hinaus müssen u.a. „Aussichten bestehen, dass durch allmähliches Herunterdosieren schrittweise eine Drogenfreiheit erreicht werden kann“. Dieses Beispiel zeigt: Es geht also nicht nur um Kostenersparnis; es geht auch um das Abstinenzgebot! Auch heute überwiegt noch die Vorstellung, dass ein Heroinabhängiger erst „geheilt“ ist, wenn er einen Abstinenzstatus erreicht hat. Selbst wenn er den gängigen Normen entsprechend sozial und/oder beruflich integriert lebt, „geheilt“ ist er erst nach dem Absetzen des Methadons. Und diese Einstellung ist genau das Gegenteil dessen, was die „Erfinder“ der Substitutionsbehandlung mit Methadon intendiert hatten (vgl. Dole in Green 1998, 5). Wir sollten endlich akzeptieren, dass Abstinenz „nicht unbedingt Voraussetzung für körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden sein muss“ (Akzept e.V. 1995, 3) Methadon ist ein Medikament: Als solches sollte es nach den gleichen Maßstäben beurteilt werden wie alle anderen Medikamente auch. Kein Mensch käme doch auf die Idee, etwa Diabetikern oder Hypertonikern (Menschen mit Bluthochdruck) die Medikamente zu entziehen – auch wenn sie entgegen ärztlichen Rat weiter Süßigkeiten konsumieren und Zigaretten rauchen -, wohl wissend dass sich der Gesundheitszustand dieser Patienten dann rapide verschlechtern würde. Ist die Behandlung mit Methadon effektiv, zeitigt sie keine signifikanten Nebenwirkungen (wie bei Methadon der Fall) und gibt es Grund zur Annahme, dass eine Beendigung der Medikation das Risiko des Rückschritts in den Zustand vor der Behandlungsaufnahme erheblich erhöht, dann sollte die Behandlung zeitlich unbefristet fortgeführt werden (vgl. Newman 1997a). Dennoch steht in den AUB-Richtlinien (§ 7) u.a. auch folgendes: „Insbesondere ist kritisch zwischen den Vor- und Nachteilen einer Fortführung der Substitution gegenüber dem Übergang in eine drogenfreie Behandlung abzuwägen“. Wie sich hierbei wohl ein Patient fühlen mag, wenn ihm ständig vor Augen geführt wird, dass er sich trotz aller Fortschritte in einer wenig geduldeten Behandlung befindet. Während die Beauftragte der Bundesregierung, Frau Nickels, die Auffassung vertritt, dass die nicht vorhandene Motivation eines Patienten für eine drogenfreie Therapie ausreicht als medizinischer Grund im Sinne des § 3a (vgl. NICKELS in Deutsches Ärzteblatt Nr. 3/2000, S. 77), sieht die gängige Praxis z.Z. so aus, dass die Anträge in den meisten KV-Bezirken durchgängig abgelehnt werden. Bestenfalls werden vergleichbar schwere Erkrankungen zu § 3 anerkannt. In Ablehnungsbescheiden wird häufig darauf hingewiesen, dass die Behandlung ja gemäß BtMVV über Privatliquidation erfolgen kann – „Liquidation“ ist mit seiner doppelten Bedeutung ein schönes Wort in diesem Kontext! 2. Ausschlusskriterien Einen wesentlichen Grund für einen Therapieausschluss stellt das Anfangsstadium der Opiatabhängigkeit (weniger als 2 Jahre) dar. Dies ist medizinisch-wissenschaftlich nicht begründbar. Im Gegenteil: Forschungsstudien zeigen, dass ein frühestmöglicher Substitutionsbeginn bei vorliegender Abhängigkeit durchaus Sinn macht (etwa: Bell/Digiusto/Byth 1992). Neben der übergeordneten Frage, ob die Richtlinien in dieser Form überhaupt ethisch und juristisch vertretbar sind, lautet die praxisbezogene Frage: Was soll ein Arzt einem Patienten sagen, der z.B. erst eineinhalb Jahre heroinabhängig ist – „Wart’ mal ein halbes Jahr und fang’ Dir am besten noch eine Hepatitis-C- oder HIV-Infektion ein“?! Lassen Sie mich auch einige Anmerkungen zur Bewilligungspraxis und zu Beratungskommissionen machen: In jedem Fall, auch bei eindeutigen Indikationen (etwa: HIV-Infektion, chronische Hepatitis B und C) ist vom Arzt ein Einzelfallantrag zu stellen. Über die Anträge entscheiden sog. Beratungskommissionen der KVen. Diese bestehen aus 6 Mitgliedern, wovon 3 von der KV benannt werden (2 davon müssen eine besondere Erfahrung in der Behandlung mit Suchtkranken haben), und 3 in Drogenproblemen fachkundige Mitglieder entsenden die Krankenkassen. Dass alle Mitglieder die für substituierende Ärzte zwingend vorgegebene fachkundliche Qualifikation nachweisen können, wird nicht gefordert. Die Dauer der Antragsbearbeitung liegt derzeit bei 4 bis 8 Wochen! Bei Ablehnung kann/muss ein erneuter Antrag gestellt werden bzw. bei Ablehnung muss ein Antrag ähnlich großen Umfangs an den örtlichen Sozialhilfeträger folgen, der natürlich auch eine entsprechend lange Bearbeitungszeit benötigt. Unglaublich, was einem nach Krankenbehandlung Nachfragenden hier zugemutet wird! Mit was für einem Klientel haben wir es eigentlich zu tun?! Immer wieder werden doch gerade Heroinabhängige als schwer, ja schwerstkrank beschrieben. Natürlich gibt es die Möglichkeit von Eilanträgen bei Notfällen, aber sind nicht alle Heroinabhängigen Notfälle? Schon der nächste Druck könnte tödlich sein! Darüber hinaus ist weiterhin unklar, wer bei Notfallbehandlungen die Kosten übernimmt. Auch bei Notfallanträgen gibt es Bearbeitungszeiten von bis zu 5 Tagen. Einige KVen scheinen darauf hingewiesen zu haben, dass sie prinzipiell keine vor der Antraggenehmigung entstandenen Kosten übernehmen werden. Die Antragsverfahren bedeuten einen erhöhten bürokratischen Aufwand für die Ärzte und deren Praxen und auch für die KVen selbst, von denen viele inzwischen personell aufgerüstet haben – dafür ist Geld da! Neben höherem Verwaltungsaufwand sehe ich in diesen ganzen AUB-Reglementierungen eine Gängelung, Bevormundung, ja Entmündigung der Ärzte – und natürlich auch der Patienten. Wie soll es unter diesen Umständen gelingen, neue Ärzte für die Substitutionsbehandlung zu gewinnen oder substituierende Ärzte zu halten? Ich fordere, dass sich auch die kassenfinanzierte Methadonbehandlung an dem anerkanntem Wissensstand zu orientieren hat. Als Indikation sollte allein eine Opioidabhängigkeit, von mir aus diagnostiziert nach ICD-10 (mit der müssen sich ja nun ohnehin seit Jahresanfang alle Ärzte vertraut machen), ausreichen. Empfehlungen zur Anamnese, Diagnose, Dokumentation etc. sollten in überarbeiteten Leitlinien der Bundesärztekammer formuliert werden. Meine Überzeugung ist, dass die AUB-Richtlinien überflüssig sind und daher „weg“ müssen. [Der Vortragende zerreißt die AUB-Richtlinien]. Wäre es nicht schön, wenn man sich des AUB-Problems so schnell und einfach entledigen könnte?! Parallel zu den AUB-Richtlinien gibt es ab dem 1. Juli 1999 neue EBM-Abrechnungsregeln. Joachim Grüner hat uns in der Zeitschrift Neurotransmitter einmal vorgerechnet, wie die Methadonsubstitution „kaputtgespart“ wird und warum zumindest Schwerpunktpraxen nach den neuen EBM-Substitutionsziffern und deren entsprechenden Punktwerten nicht mehr rentabel arbeiten können (vgl. Grüner 1999). Ich möchte Ihnen und auch mir die verwirrenden Ziffern und Punktwerte an dieser Stelle ersparen; sie können ja nachgelesen werden. Nur 2 Anmerkungen hierzu: Abgerechnet werden können nun nur noch 4 Gespräche von mindestens 10 Minuten Länge pro Quartal und Patient, d.h. weniger als 5 Minuten pro Woche! Drogenscreenings werden nur noch für bis zu 20 Parameter pro Quartal und Patient vergütet, und zwar so niedrig, dass für den Arzt praktisch kein Gewinn dabei abfällt. Dies steht in krassem Gegensatz zu den Bestimmungen der BtMVV, nach denen jede Woche ein Gespräch mit dem Patienten zu führen und sicherzustellen ist, „dass kein behandlungsgefährdender Beigebrauch betrieben und das Substitutionsmittel bestimmungsgemäß verwendet wird“. Ich will mich gewiss nicht zum „Vergütungssprecher“ der substituierenden Ärzte machen, aber wenn es stimmt, dass die Therapie bei erhöhtem Aufwand für Patienten und ‚Formalkram’ nur noch zwischen 100 und 400 DM pro Quartal und Patient erbringt, würde ich mich wahrscheinlich auch aus der kassenfinanzierten Behandlung zurückziehen und evtl. privat liquidieren – und eine solche Entwicklung zeichnet sich derzeit ab*. So heißt es etwa im Protokoll der Sitzung der AK Substitution in Westfalen-Lippe vom 16.11.1999 (S. 2): „ […] Zu beobachten ist auch, dass sich verstärkt Ärzte aufgrund des erhöhten bürokratischen Aufwands und der geringeren Vergütung [aus der Substitutionsbehandlung] zurückziehen, wodurch insbesondere ländl. Bezirke in der Versorgung gefährdet sind (…) Auch die Umgehung der AUB-Richtlinien ist schon bemerkbar durch eine verstärkte Privatverschreibung, ohne dass eine Anbindung an Beratungsstellen erfolgt.“ Der Stand der Methadonsubstitution zur Jahrtausendwende ist in Deutschland aus meiner Sicht folgender: Die erforderliche flächendeckende, jedem Heroinabhängigen zugängliche Substitutionstherapie wird kontinuierlich ausgehebelt – durch mittelalterlich anmutende Richtlinien zur vertragsärztlichen Substitutionsbehandlung gekoppelt mit einer überbordenden Bürokratie mit unsinnigen Antragsverfahren sowie einer Bevormundung bzw. Entmündigung der Ärzte in ihrer Therapiefreiheit (systematische Demotivierung); – durch eine „Kaputtsparung“ aufgrund unzureichender Vergütung der Leistungen substitutionsbereiter Ärzte; – durch eine „Teil-Privatisierung“ und „Re-Kriminalisierung“ der Substitutionspatienten (Zwei-Klassen-Gesellschaft an Patienten; Behandlung und/oder Take-Home werden nur noch gegen Gebühr gewährt; ein Teil der Patienten ist zur Substitutionsfinanzierung wieder zur Beschaffungskriminalität gezwungen); – durch die Vorenthaltung einer nachweisbar effizienten Therapieform aufgrund von Therapieplatzmangel (Wartelisten, unnötige gesundheitliche und soziale Verelendung der Heroinabhängigen bis hin zum Tod). Große Probleme sehe ich auf die Drogen(sozial)arbeit zukommen. Ein „Ansturm“ von Heroinabhängigen, die keine substitutionsbereiten Ärzte mehr finden, ist für Drogenberatungsstellen und Kontaktläden vorprogrammiert. Bereits jetzt gibt es vielerorts keine Substitutionsplätze mehr. Eine Subgruppe der „Nichtvermittelbaren“ stellen bereits jetzt russlanddeutsche Drogenabhängige dar. Meine Damen und Herren, für jemanden, der wie ich vor über 10 Jahren die Glaubenskriege um die Einführung der medikamentengestützten Substitution in Deutschland erfolgreich mit durchgefochten hat, ist es schon sehr traurig, nun miterleben zu müssen, wie die Methadonsubstitution quasi in Zeitlupe wieder zu Grabe getragen wird. Es gibt zu viele, sich teils im Grundsatz widersprechende Richtlinien und Reglementierungen im Bereich der Substitutionsbehandlung. Wünschenswert wäre folgendes: – Gewährleistung flächendeckender Substitution – Einheitliche Verabschiedung von Leitlinien der Bundesärztekammer (als Empfehlungsgeber gemäß BtMVV auf der Grundlage der medizinischen Wissenschaft) – Sicherstellung vertragsärztlicher (kassenfinanzierter) Substitution und Substitution gemäß BSHG mit der Indikation „Opioidabhängigkeit“; Verzicht auf unsinnige Antragsverfahren, sondern nur Meldepflicht; Therapieentscheidung im Einzelfall durch den behandelnden Arzt in Absprache mit dem Patienten und evtl. einer Drogenhilfeeinrichtung – einheitliche, standardisierte Dokumentation – angemessene Vergütung ärztlicher Leistungen und psychosozialer Unterstützung durch die Drogenhilfe Es gilt zu klären, ob die Substitutionsbehandlung – so umfangreich, wie politisch gewollt – auch finanziert werden kann. Wenn keine ausreichenden Mittel zur Verfügung stehen oder gestellt werden können, dann muss zumindest auch endlich einmal einer der Verantwortlichen den Mut fassen, uns dies auch klar und deutlich zu sagen: Für so und so viele Patienten wollen und können wir eine qualifizierte Behandlung bezahlen, für den Rest nicht. Das wäre ehrlicher, als Finanzierungslücken durch dem wissenschaftlichen Kenntnisstand nicht gerecht werdende AUB-Richtlinien zu verschleiern. Trotz aller negativen Entwicklungen hoffe ich auf die Vernunft aller verantwortlichen Beteiligten und schließe mit den Worten von Joycelyn Woods, der Leiterin der National Alliance of Methadone Advocates (NAMA) in New York: „Let us make a commitment to the new millennium to insure that methadone maintenance becomes the treatment that it was intended to be – a caring program that opiate users enter with hope.“ (NAMA-Rundschreiben vom Januar 2000) Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche mir eine angeregte Diskussion. Literaturhinweise Akzept e.V.: Leitlinien für die psycho-soziale Begleitung im Rahmen einer Substitutionsbehandlung. Berlin 1995 Bell, J./Digiusto, E./Byth, K.: Who should receive methadone maintenance? In: British Journal of Addiction 1992;87:689-694 Bertschy, G.: Methadone maintenance treatment: an update. In: Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci 1995;245:114-124 Caplehorn, J.R.M./Bell, J.: Methadone dosage and retention of patients in maintenance treatment. In: The Medical Journal of Australia 1991;154: 195-199 Doherty, B.K.: Association Survey Identifies Greater Numbers in Methadone Treatment. In: American Methadone Treatment Association News Report, Sixth Edition, December 1999, 2-5 Dole, V.P./Nyswander, M.E.: A Medical Treatment for Diacetylmorphine (Heroin) Addiction – A Clinical Trial With Methadone Hydrochloride. 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