Leitlinien zum Betrieb und zur Nutzung von Konsumräumen

Leitlinien zum Betrieb und zur Nutzung von Konsumräumen

 Erarbeitet auf der Konferenz:  „Konsumräume als professionelles Angebot der Suchtkrankenhilfe – Internationale Konferenz zur Erarbeitung von Leitlinien“

 Veranstaltet von: Carl von Ossietzky Universität Oldenburg – Arbeitsstelle Sucht- und Drogenforschung und akzept – Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik

 

18.-19. November 1999 in Hannover

Unter der Schirmherrschaft der Bundesdrogenbeauftragten Christa Nickels

Im Rahmen der Konferenz „Konsumräume als professionelles Angebot der Suchtkrankenhilfe – Internationale Konferenz zur Erarbeitung von Leitlinien“ (18.-19. November 1999 in Hannover) haben 180 TeilnehmerInnen aus Deutschland, den Niederlanden, Schweiz, Österreich Frankreich und Australien über alle Aspekte des niedrigschwelligen und akzeptanzorientierten Angebots ‚Konsumräume‘ diskutiert. Die TeilnehmerInnen waren PraktikerInnen aus bereits bestehenden Konsumräumen, MitarbeiterInnen von Einrichtungen, die solche Angebote planen, oder in Sozial- und Gesundheitsbehörden, bei der Polizei oder der Justiz beschäftigt sind. Dabei waren viele Berufsgruppen vertreten: SozialarbeiterInnen, PsychologInnen, Krankenpflegepersonal, ÄrztInnen, RichterInnen, StaatsanwältInnen, RechtsanwältInnen und PolizistInnen.

Über einen Erfahrungsaustausch hinaus wurden in sechs themenspezifisch organisierten Arbeitsgruppen Leitlinien für eine fachgerechte Planung, Umsetzung, Durchführung, Dokumentation und politische Verankerung dieses Angebotes erarbeitet. Diese Leitlinien sollen sowohl den bestehenden Angeboten als auch Einrichtungen, die ein solches Angebot planen, als fachliche Orientierung dienen. Schließlich sollen diese Leitlinien auch für die politisch und administrativ Verantwortlichen eine fachliche Grundlage für ihre Entscheidungen bilden.

In Konsumräumen wird der Konsum mitgebrachter Drogen in einer angst- und streßfreien Atmosphäre geduldet und Voraussetzungen für einen hygienischen und risikoarmen Konsum geschaffen. Die Teilnehmerinnen der Konferenz einigten sich mehrheitlich auf den Begriff ‚Konsumräume‘ für dieses niedrigschwellige und akzeptanzorientierte Angebot der Drogenhilfe, weil darin die Ziel- und Zweckbestimmung dieser Räumlichkeiten klar und deutlich benannt wird. Synonym werden in anderen Zusammenhängen auch Begriffe wie Gesundheitsräume, Gassenzimmer, Fixerstübli, safe injection rooms, drug consumption facilities etc. genannt.

Die Veranstalter wollen mit dieser Konferenz ein Netzwerk von Menschen begründen, die in Konsumräumen arbeiten, diese planen oder im kommunalpolitischen, rechtlichen oder administrativen Bereichen mit Konsumräumen zu tun haben. Eine erste Zusammenfassung der praktischen Erfahrungen und wissenschaftlichen Erkenntnisse im Zusammenhang mit Konsumräumen werden im Internet präsentiert (www.uni-oldenburg.de/saus). Alle Interessierten sind aufgefordert diesen Informationspool mit praktischen Erfahrungen, Informationen, und relevanten Materialien zu ergänzen.

Die TeilnehmerInnen der Konferenz kamen aus der Praxis von Einrichtungen, die bereits solche Angebote betreiben oder betreiben wollen, Menschen aus Verwaltung und Politik, die im Rahmen niedrigschwelliger und akzeptanzorientierter Drogenhilfe aktiv sind.

Die Leitlinien beziehen sich auf die folgenden Schwerpunkte von Konsumräumen:

  • Planungs- und Umsetzungsprozeß von Konsumräumen
  • Unterschiedlichkeit konzeptioneller Ansätze
  • Arbeitsweisen/-methodiken
  • Innere Organisation und Vernetzung
  • Kommunal-, ordnungs- und rechtspolitische Interessen an einem Gesundheitsraum,
  • Konsumräume im ländlichen/kleinstädtischen Bereich und Konsummöglichkeiten innerhalb anderer Versorgungsangebote innerhalb niedrigschwelliger Drogenhilfe.

Die Diskussionen orientieren sich zum Teil an den Rahmenbedingungen der bevorstehenden Gesetzesänderung im deutschen Betäubungsmittelgesetz mit dem Ziel der Straffreiheit des Betreibens und Nutzens von Konsumräumen (Stand: November 1999). Die Forderungen an eine fachgerechte, zielgruppenspezifische Arbeit in Gesundheitsräumen gehen aber über diese gesetzliche Vorgabe hinaus. Mit dieser umfassenden Perspektive bieten diese Leitlinien auch für Interessierte aus anderen Ländern eine professionelle Orientierung.

Diese Publikation[1] der auf der Konferenz erarbeiteten Leitlinien ist in sieben Bereiche aufgeteilt. Der erste gibt in einer Präambel grundsätzliche Erfahrungen und Erkenntnisse im Umgang mit Konsumräumen wieder, die in den meisten Arbeitsgruppen angesprochen wurden. Die nächsten sechs Bereiche beinhalten Leitlinien, die im Rahmen des jeweiligen Themenschwerpunktes erarbeitet wurden.

Präambel

Drogenkonsumräume sind eine sinnvolle Ergänzung des bestehenden Drogenhilfesystems, die zum einen der Überlebenshilfe dienen und zum anderen die Möglichkeit der Entwicklung von individuellen Lebensperspektiven mit und ohne Drogen erweitert.

Die Zielsetzung von Konsumräumen ist ein Beitrag zur Überlebenshilfe und Risikominimierung bei Konsum illegalisierter Drogen. Gleichzeitig sollen die Angebote sozialverträglich und kommunalpolitisch verankert werden.

Zielgruppe von Konsumräumen sind grundsätzlich alle DrogengebraucherInnen illegalisierter Drogen, wenngleich die Mehrzahl der NutzerInnen in zumeist gesundheitlich und sozial verelendeten, älteren DrogenkonsumentInnen besteht. Anonymität in der Nutzung von Konsumräumen ist eine Voraussetzung für ihre Akzeptanz.

Konsumräume stehen im Spannungsfeld von verbraucherorientierter Gesundheitspolitik und kommunaler Ordnungspolitik. Ein hierarchischer Abwägungskompromiß zwischen Verbraucherinteresse, gesundheitspolitischem und ordnungspolitischem Interesse ist nötig.

Die Angebote der Konsumräume erfüllen mit ihren niedrigstschwelligen und akzeptanzorientierten Kontaktmöglichkeiten eine Brückenfunktion in weiterführende Angebote gesundheitlicher und psycho-sozialer Unterstützung. Konsumräume sollten daher organisatorisch eingebettet sein in ein soziales und medizinisch orientiertes Hilfesystem in der Kommunale/Region.

Die Praxis hat eine Vielfalt konzeptioneller Ansätze hervorgebracht, die in unterschiedlichen kommunalen, drogenpolitischen und rechtlichen Rahmenbedingungen gewachsen sind und auch ihre Berechtigung haben. Die rechtlichen Vorgaben in der Betäubungsmittelgesetzgebung sollten diese erprobten und bewährten Praxismodelle schützen.

Auch informelle Drogenkonsumräume, bspw. Konsumgelegenheiten im Rahmen anderer Versorgungsangebote und Konsumräume im ländlich/kleinstädtischen Bereich sind zu unterstützen.

Zielgruppennaher Standort, Berücksichtigung von NutzerInneninteressen, Werben für Akzeptanz im Stadtteil/Umfeld sind basale Voraussetzung bei der Konzeptionierung und Installation von Konsumräumen.

Die Einrichtung von Konsumräumen ist ein weiterer, wichtiger Schritt zur Normalisierung im Umgang mit Gebrauchern illegalisierter Substanzen u.a. auch mit dem Ziel, einen selbstkontrollierten und gesellschaftlich und kulturell integrierten Drogenkonsum zu erlernen und zu praktizieren.

Eine realistische und praxisorientierte Umsetzung der beschriebenen Leitlinien für Konsumräume wird nur erreichbar sein, wenn sich MitarbeiterInnen und NutzerInnen nicht der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzen müssen.

Der Paragraph 29 BtmG in seiner gegenwärtigen Form muß entsprechend geändert werden.

 

  1. Planungs- und Umsetzungsprozeß von Konsumräumen
  2. Notwendig ist eine Bedarfsanalyse gemeindenaher Drogenpolitik (kommunale Schwerpunktsetzung), Zielgruppenbestimmung, Szenestrukturanalyse und den sich daraus ergebenden Umsetzungsbedingungen für einen Drogenkonsumraum. Regionale Besonderheiten, Selbsthilfeintegration, Sicherheitspartnerschaft und NutzerInneninteressen sind zu berücksichtigen
  3. Eine konzeptuelle Abstimmung mit der regionalen Drogenhilfestruktur und den Trägern anderer Versorgungsangebote ist erforderlich: AIDS-Hilfen, Drogenhilfeeinrichtungen, niedergelassene Ärzte, Methadonambulanzen, Sozialämter, Entzugs- und Therapieeinrichtungen, insbesondere auch regionale Koordinationsausschüsse im Drogenhilfebereich
  4. Voraussetzung für die Einrichtung von Konsumräumen ist die Gewinnung von politischen und sozialen Bündnispartnern: parteipolitische Kontaktaufnahmen, permanente Öffentlichkeitsarbeit zur Notwendigkeit der Einrichtung von Drogenkonsumräumen, inhaltliche Bestimmung in Abgrenzung beispielsweise zu heroingestützten Behandlungsformen, Organisation von Pressekonferenzen und einem “Hearing” zur regionalen Drogenpolitiksituation. Darüber hinaus ist das Aufzeigen von Versorgungslücken notwendig und dies in enger Kooperation mit Drogenhilfeeinrichtungen, Polizei, Staatsanwaltschaft, Gesundheitsamt etc.
  5. Bei der Planung und Umsetzung erscheint der Einbezug von Anwohnerschaft, Kaufmannschaft, und Bürgerinitiativen erforderlich: eine klare sozialverträgliche Ausrichtung konzeptueller Grundlagen ist ebenso nötig wie eine inhaltliche Schwerpunktsetzung auf harm reduction Von besonderer Wichtigkeit ist die Problematisierung, daß es sich bei der Einrichtung von Konsumräumen nicht um eine „Lösung“ des Drogenproblems handelt (handeln kann), sondern um eine Minimierung der konsumbezogenen „Problemfülle“ insbesondere für die KonsumentInnen. Das Ziel besteht in einer Vermeidung unzulässiger Erwartungshaltungen bezüglich der Einrichtung von Drogenkonsumräumen wie etwa der Auflösung der öffentlichen Drogenszenen, Reduktion der Beschaffungskriminalität, Verschwinden des öffentlichen Konsumgeschehens/ Spritzenfunde.
  6. Die Teilnahme an kriminalpräventiven Räten und Runden Tischen und Ordnungspartnerschaften in der Kommune sollte obligatorisch sein.
  7. Hinsichtlich der jeweiligen kommunalen und regionalen Besonderheiten kann es sich um einen reinen Konsumraum u./o. um ein integratives Konzept bei Schaffung kommunikativer Strukturen im Rahmen einer angemessenen Ausstattung handeln (bei Setzung von Minimalstandards in Vernetzung mit der örtlichen Drogenhilfestruktur).
  8. Ziel ist die Präsentation eines regional integrativen, vernetzten Konsumraummodells: Einbettung in bestehende Versorgungsstrukturen, bei Bedarf und auf Wunsch Beratung, Krisenintervention, Entzugsplatz- und Substitutionsvermittlung, psycho-soziale Betreuung, lebenspraktische Hilfen, Therapievermittlung.
  9. Notwendig ist die Verzahnung von Gesundheitsprävention und das Nebeneinander-/Ineinandergreifen differenzierter, akzeptanzorientierter Begleitungs-/Betreuungsaktivitäten in einem interdisziplinären Verbund gleichberechtigter und gleichgewichtiger krankenpflegerischer/ medizinischer und sozialpädagogischer sowie selbsthilfebezogener Anteil ohne ärztliche Dominanz (keine Förderung einer Medizinalisierung der Drogenhilfe). Dabei könnte das Rotationsprinzip der MitarbeiterInnen im Rahmen der jeweiligen Arbeitsschwerpunkte von besonderer Bedeutung sein.
  10. Drogenkonsumräume sollten baulich in den niedigschwelligen Arbeitsbereich szenennah integriert werden. Räumlich jedoch klar beispielsweise vom Kontaktcafé getrennt sein. Die jeweilige Größe eines Konsumraums hängt von der regionalen Drogenszenestruktur und von den kommunalen Bedarfen ab. Ein ärztlicher/krankenpflegerischer Behandlungsraum für Wund- und Abszeßbehandlungen, bei Überdosierungen und Drogennotfallsituationen sowie ein angegliederter Raum mit Entlüftungsanlage/ Abzugshaube für Folienraucher ist gegebenenfalls einzuplanen (Plätze ab 6 Personen).
  11. Finanzielle und bauliche Grundausstattung ist wiederum regional auszuloten und mit den jeweiligen Ämtern abzustimmen: 1½ Stellen sozialpädagogische Fachkräfte, ½ Stelle für ärztliche Grundversorgung und ½ Stelle für pflegerische Betreuung sowie Honorarmittel für flexiblen, krankenpflegerischen und sozialpädagogischen Einsatz (u.a. studentische Hilfskräfte) bei werktäglichen Öffnungszeiten von 10.00 – 17.00 Uhr als Minimalkonzept. Bei längeren Öffnungszeiten sowie an Wochenenden – entsprechend den regionalen Besonderheiten – ist eine Stellenerweiterung unumgänglich.
  12. Eine Medizinische Grundausstattung sollte vorhanden sein: Beatmungshilfsmittel (Beatmungsmaske, Ambu-Beutel), Beißkeile, Blutdruckmeßgerät, Hyperventilationsmasken, Sauerstoff, Liege, Rettungsdecke, Notfallkoffer sowie Verbandsmaterial, Salben etc. Alle MitarbeiterInnen, Honorarkräfte und PraktikantenInnen sollten regelmäßig in Erste Hilfe und Reanimation geschult werden.
  13. Konsumräume sind als „Baukastensystem“ im Rahmen der Drogenhilfe anzusehen und zu integrieren, sollten aber andere Angebote nicht beschneiden.
  14. Notwendig ist darüber hinaus die Abstimmung des rechtlichen Rahmens, der Fachaufsicht beispielsweise der unteren Gesundheitsbehörden, der Garantenpflicht und der jeweiligen politischen „Infrastruktur“ .

 

2. Unterschiedlichkeit konzeptioneller Ansätze

  1. Anonymer Zugang zum Drogenkonsumraum muß aus gesundheitspolitischen Gründen, d.h. Infektionsschutz für Drogenkonsumenten und Bevölkerung und aus Gründen der Überlebenshilfe gewährleistet sein.
  2. Drogenkonsumräume dürfen nicht als Mittel zum Zweck, etwa als ‚Lockangebote‘ für Ausstiegshilfen sein, sondern haben ihre Berechtigung unabhängig von weitergehenden Hilfebedarf der BenutzerInnen. Die Bedarfsformulierung der Beratung obliegt dabei den BesucherInnen (akzeptanzorientierter Ansatz).
  3. Zielgruppe sind alle DrogengebraucherInnen illegalisierter Drogen. Bei Sicherstellung von Anonymität und unter gesundheitspolitischer Zielsetzung der Infektionsprophylaxe, der Eindämmung riskanter Konsumformen, sind daher u.a. Minderjährige, Substituierte und Gelegenheitskonsumenten einzubeziehen.
  4. Öffnungszeiten für eine hygienische Applikation sind regional und bedarfsbezogen auszurichten (möglicherweise rund um die Uhr, 7Tage-Woche). Wichtig ist eine Kontinuität der Angebote
  5. Drogenkulturelle Besonderheiten, z.B. die Stützung/Förderung eines regelorientierten, selbstkontrollierenden Konsumverhaltens, sind in das Konzept einzuarbeiten und umzusetzen.Träger von Drogenkonsumräumen sind aufgefordert, sowohl auf theoretisch konzeptioneller wie auch praktischer Ebene möglichst mit Selbsthilfegruppen zusammen zuarbeiten. Selbsthilfe als kritisches Gegenüber ist anzuerkennen, aktiv zu fördern und in das Konzept zu integrieren.
  6. Ein Drogenkonsumraum ist ähnlich wie Streetwork- und Kontaktladenarbeit eine Schnittstelle zwischen Szene und Drogenhilfesystem und erfüllt damit eine spezifische Aufgabe der Integration in weiterführende Hilfen

 

3. Arbeitsweisen/-methodiken

Eine gesundheitliche und soziale Unterstützung kann dann gewährleistet werden, wenn

–  akzeptanzorientiert und lebensweltbezogen gearbeitet wird
–  fachlich geschultes Personal bei der Umsetzung beteiligt ist.

  1. Soziale Unterstützung
  2. Der Konsumraum erfüllt an und für sich soziale Funktionen (Kommunikation, Kontakte, Selbsthilfe).
  3. Je nach Struktur bietet er die Möglichkeit, Zugang zu weitergehenden Angeboten zu finden (vor Ort oder in einem vernetzten System auf kommunaler Ebene).
  4. Die Installation eines Konsumraumes bietet die Chance, einer zunehmenden Verelendung im gesundheitlichen und sozialen Bereich entgegenzuwirken.
  5. Gesundheitliche Unterstützung
  6. Gesundheitspräventive Maßnahmen wie die Stützung/Vermittlung von Safer-Use-Techniken und Harm-Reduction-Strategien ist vorzuhalten.
  7. In Konsumräumen wird Hilfe in Notfällen gewährt und Aufklärung über Erste-Hilfe-Maßnahmen und das Verhalten in Notfällen für die BesucherInnen     ……angeboten.
  8. In Konsumräumen wird eine streßfreie und hygienische Atmosphäre geschaffen.
  9. In Konsumräumen wird die Intimsphäre der BesucherInnen gewahrt.
  10. Es wird ein Aufenthaltsraum vorgehalten.
  11. Eine medizinische Weiterbehandlung ist als Angebot vorzuhalten oder zu vermitteln bzw. mit der/dem BesucherIn zu thematisieren.
  12. Die gesundheitliche Unterstützung in Konsumräumen wird insbesondere in Notfällen ohne repressiven Einfluß gewährt.

 

4. Innere Organisation und Vernetzung

  1. Die Personalzusammensetzung und -Qualifikation ist abhängig von örtlichen Gegebenheiten und Szenengröße , sowie der jeweiligen konzeptuellen Ausrichtung berufliche Qualifikation sollte medizinische, sozialpädagogische und psychologische Bereiche umfassenüber die berufliche Qualifikation hinaus, sollten die MitarbeiterInnen über weitere Qualifikationen verfügen wie Empathie, ein hohes Maß an Sensibilität, Verständnis für die Lebenssituation von Drogenkonsumenten, Fähigkeit zur Teamarbeit (Rotation), die Fähigkeit mit Streß-, Gewalt- und Notfallsituationen umzugehen, Autorität und Authentizität, Fort- und Ausbildung in Safer-Use-Techniken, Soforthilfemaßnahmen, Notfallprophylaxe und Reflexion der eigenen Arbeit sind zwingend erforderlich
  2. Vernetzung

    – basiert auf der zentralen Frage: was dient den NutzerInnen, was dem Angebot?
    – interne und trägerübergreifende Vernetzungen sind erstrebenswert
  3. Kapazität

    – ist im Idealfall von der offenen Drogenszene und den regionalen Besonderheiten abhängig
    – Erfahrungen zeigen, daß die Kapazität eines Raumes nicht 10-12 Plätze übersteigen und genügend Platz für einen sicheren Konsum, Bewegung und für
    Drogennotfallsituationen vorhanden sein sollte.

  4. Hausregeln

    – keine Weitergabe von Drogen, kein Drogenhandel
    –    keine Gewaltandrohung und -ausübung!
    –    Sanktionen in abgestufter Form bis hin zum generellen Hausverbot
  5. Dokumentation

    – standardisierte, transparente Basisdokumentationen (die die tägliche Arbeit nicht behindert)
    – Datenverweigerung darf Zugang nicht ausschließen!
    – Anonymität!
    – regionale Absprachen bezüglich. Vergleichbarkeit der Daten

  6. Applikationstechniken und -voraussetzungen

– nach den Prinzipien des Safer-Use für alle Beteiligten, wobei geeignetes “Material” zur Verfügung gestellt werden muß


5. Kommunal-, ordnungs- und rechtspolitische Interessen an einem Gesundheitsraum

  1. Gesundheitsräume sind Ausdruck und Baustein von Drogenhilfe für KonsumentInnen. Die Rahmenbedingungen für Sicherheit und Bürgerakzeptanz müssen gewahrt sein.
  2. Rechtssicherheit, Rechtsklarheit müssen bestehen für
    – MitarbeiterInnen, BetreiberInnen des Konsumraumes bei der täglichen Arbeit
    –   Polizei bei Duldungspraktiken
    –   KonsumentInnen beim Zugang und im Konsumraum
    –    bei medizinischer Prävention innerhalb und außerhalb des Konsumraumes (Jugendliche, Substituierte, Gelegenheitskonsumenten)
    –    Konsum in Einrichtungen der Drogen- und Jugendhilfe
  3. Sicherheit
    Abgrenzung der Verantwortung für Sicherheit muß fair und ausgewogen sein.Klärung der Verantwortlichkeiten in fortlaufenden Kooperationstreffen aller Beteiligten (z.B. Polizei, Kommune, Träger), wenn möglich unter Beteiligung der NutzerInnen
  4. Gesundheitsräume sollten nicht als ordnungspolitische oder sozialpolitische Maßnahme funktionalisiert werden. Für den Betrieb eines Konsumraumes ist es erforderlich, auf eine Akzeptanz der Einrichtungen und der KonsumentInnen hinzuwirken.

6. Gesundheitsräume im ländlichen/kleinstädtischen Bereich und Konsummöglichkeiten innerhalb anderer Versorgungsangebote

  1. Die Bundesgesundheitsbehörden werden aufgefordert, die Standards für den Betrieb von Gesundheitsräumen so zu gestalten, daß Konsumräume oder -gelegenheiten auch in bereits bestehenden Angeboten niedrigschwelliger Suchtkrankenhilfe, wie Notübernachtungen, Kontaktläden, eingerichtet und legal betrieben werden können. Selbstverständlich werden dabei die fachlich notwendigen Ansprüche an eine entsprechende Ausstattung der Räumlichkeit berücksichtigt.
  2. Die Änderungen des Betäubungsmittelgesetzes ermöglichen erweiterte Hilfen für DrogengebraucherInnen; dies könnte in Großstädten die Einrichtung von Konsumräumen sein.
    Für die adäquate Umsetzung der angestrebten Ziele im ländlichen Bereich fehlen jedoch meist in der Praxis die finanziellen und personellen Rahmenbedingungen.
    Zur Entwicklung von Alternativen für den ländlichen Raum werden neue, der ländlichen Struktur angepaßte Konzepte benötigt.
  3. Jeder/e DrogengebraucherIn muß individuell nach seinen Bedürfnissen und seinen Möglichkeiten einen Zugang zu einem menschenwürdigen Konsum haben.
    In bestehenden Einrichtungen muß die Möglichkeit integriert werden, den GebraucherInnen bedarfsorientiert den Konum vor Ort, in dazu geeigneten und geschützten Räumen, zu gestalten.
  4. Für den ländlichen Bereich sind die zur Zeit festgelegten Standards nicht praktikabel.
    Die nach dem Gesetzentwurf vorgesehenen Standards im Betäubungsmittelgesetz (Stand: November 1999)sollten je nach der besonderen Situation des Betreibers gestaltet und flexibel veränderbar sein.
    Insbesondere dürfen vorhandene Ressourcen nicht durch neue Standards aufgegeben werden.
    Es müssen rechtliche Grundlagen geschaffen werden, damit die Institutionen einen Konsumraum mit einem Minimum an Standards betreiben können.
    Die Konsumenten sollten an der Planung eines Konsumraumes und dessen “Standards” beteiligt werden. Konsumenten sollten möglichst auch in die aktive Arbeit einbezogen werden.
  5. Kontaktfelderweiterung
    Es sollte keine Zugangsbeschränkungen für die Nutzung von Gesundheitsräumen geben, da sonst die präventiven Ansätze dem ausgeschlossenen Personenkreis verwehrt blieben. Es sollen alle Applikationsformen und alle illegalisierten Drogen zugelassen sein.
    Durch ein verstärktes Angebot niedrigschwelliger Drogenarbeit sind vorher nicht erreichte DrogengebraucherInnen in das Hilfesystem eingebunden worden. Die entstandenen akzeptanzorientierten Einrichtungen mit Angeboten wie beispielsweise Notschlafstellen oder Kontaktcafés werden gut angenommen.
  6. Beziehung zwischen Professionellen und KlientInnen
    Aktive DrogengebraucherInnen müssen während eines längeren Aufenthalts (besonders in Notschlafstellen) konsumieren. Der Kauf und der Konsum finden oft in der Nähe dieser Einrichtungen statt. Dadurch wird entweder innerhalb oder in der Nähe der Einrichtungen konsumiert, was meistens unter unhygienischen Bedingungen geschieht (Dreck, keine Notfallversorgung).
    Das Verhältnis zwischen Besuchern und Betreuern ist daher unehrlich. Der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses wird dadurch erschwert.
    Dulden die MitarbeiterInnen den Konsum innerhalb der Einrichtung, begeben sie sich rechtlich in eine gefährliche Situation. Nach der neuen Gesetzgebung ist eine solche Tolerierung ein Straftatbestand (nach alter Lage: rechtliche Grauzone). Dies ist dringend zu ändern.

(1) Redaktion:

Dr. Wolfgang Schneider/INDRO e.V., Münster und Dr. Heino Stöver/Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Oldenburg

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